piwik no script img

Kommentar BerlusconiUnterschätzt ihn nicht!

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Schon vor einem Jahr drohte Berlusconi der politische Untergang - er konnte sich retten. Auch diesmal ist für ihn noch nicht alles verloren.

D as ist wohl nur in Italien, nur in Berlusconi-Land möglich: Der Premier hat keine parlamentarische Mehrheit mehr, er hat die Partie verloren – doch das Spiel wird noch nicht abgepfiffen.

Stattdessen geht es in die Verlängerung, darf Berlusconi noch ein paar Wochen weitermachen. Dafür gibt es einen unabweisbaren Grund. Beide Häuser des Parlamentes müssen erst das Stabilitätsgesetz verabschieden, in der Hoffnung, so die Spekulation gegen das Land zu stoppen.

Doch erinnern wir uns: Schon vor einem Jahr sah Italien die gleiche politische Konstellation. Berlusconi hatte die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verloren, nachdem Gianfranco Fini samt seinen Anhängern mit ihm gebrochen hatte. Das Misstrauensvotum war eigentlich nur noch Formsache, doch Berlusconi bekam einen Monat Gnadenfrist, um noch den Staatshaushalt verabschieden zu können – schließlich mussten "die Märkte" ruhig gehalten werden.

Michael Braun

ist Italien-Korrespondent der taz.

Der Regierungschef nutzte damals diesen Monat, um sich eine neue Mehrheit zusammenzukaufen – plötzlich stand der Verlierer erneut als Sieger da. Auch jetzt ist zu erwarten, ist zu befürchten, dass es Berlusconi nur vordergründig um die Stabilität Italiens geht, dass er vor allem erneut versuchen wird, in letzter Sekunde seine Haut zu retten.

Sein erstes Ziel ist offenkundig, jede politische Alternativlösung zu durchkreuzen, vorneweg die einer Übergangsregierung "der nationalen Rettung" unter Ex-EU-Kommissar Mario Monti. Dann schon lieber Neuwahlen, mit einem von Berlusconi ausgesuchten Kandidaten. Oder gar ein weiterer Versuch, eine neue Mehrheit zusammenzukratzen – völlig unrealistisch ist das nicht, denn dutzende Hinterbänkler fürchten einen schnellen Urnengang, bei dem sie nicht wieder aufgestellt würden.

Doch eines ist völlig anders als letztes Jahr. Diesmal stimmen "die Märkte" mit – am Dienstag kletterte der Spread gegenüber Deutschland auf den neuen Rekordwert von 500 Punkten, waren fast schon 7 Prozent Zinsen auf italienische Staatsanleihen fällig. Und weder die Märkte noch Europas Regierungen noch EU-Kommission und IWF werden tatenlos zuschauen, wenn Italiens Situation sich weiter dramatisch zuspitzen sollte.

Ein politisches Überleben Berlusconis erscheint deshalb höchst unwahrscheinlich – doch ein gangbarer Ausweg aus der politischen Krise und damit aus der Vertrauenskrise Italiens muss erst noch gefunden werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    Ich traue Berlusconis Rückzugsabsichten ebenso wenig wie Merkels Atomaússtieg.

  • V
    Volksverdummung

    • PLACEBO-Debatten um "Paradiesvogel" Berlusconi...

     

    Die Diskussion um einen Verbleib BERLUSCONIS ist Sache der Italiener!

    Die ZINSAUFSCHLÄGE für Italien lassen sich damit nicht stichhaltig -in einem ökonomischen Sinne "rational"!- begründen!

     

    Aber eines lässt sich voraussehen: Falls Italien auf seinem "Sparkurs"

    (ökonomischem Kahlschlagskurs) nach Art Griechenlands beharrt, ohne Sinn und Verstand AUSGABENKÜRZUNGEN vornimmt, auch funktionierende ökonomische Sektoren in die Rezession treibt und gleichzeitig auf eine aktive Stimulierung vorhandener Wirtschaftspotentiale verzichtet, dann ist auch dieses Land (der souveräne STAAT!) in Kürze ökonomisch am Boden!

    .

     

    2. Warum sollten die KREDITGEBER Italiens, die privilegierten Akteure, die den REFINANZIERUNGSZINSSATZ immer weiter ausreizen (!), an einer Demontage eines bestimmten Regierungschefs interessiert sein?

    Geht es den Kreditgebern nicht PRIMÄR um eine Maximierung der Renditen des von Ihnen eingesetzten (riskierten!) Kapitals?

    Haben die Kreditgeber politische Ambitionen?

    .

    Ausufernde ZINSFORDERUNGEN gegen Italien sind nicht Ausdruck eines politischen Misstrauensvotums gegen eine ohnehin NEOLIBERALE REGIERUNG BERLUSCONI (!), sondern in einem streng politischen Sinne ein weiterer SARGNAGEL gegen die politischen Emanzipationsbestrebungen der Europäischen Staatengemeinschaft; angesichts des strukturell angelegten Unvermögens der EZB, Italien direkt zu kreditieren, aus Sicht der Kreditgeber (!) eine NAHEZU RISIKOLOSE politische SPEKULATION mit finanziellem ABSCHÖPFUNGSPOTENTIAL...

    .

     

    3. Die in die Irre führende Debatte um eine von den "Finanzmärkten" gewünschte Demission Berlusconis verstellt den Blick auf das vorhandene STRUKTURPROBLEM der STAATSFINANZIERUNG innerhalb der Eurozone!

    Diese unsägliche Diskussion, die sich mit SEKUNDÄRPROBLEMEN -wie dieser unsäglichen Personalie- aufhält, anstatt an LÖSUNGEN zu arbeiten, die nicht ins ökonomische CHAOS führen, bringt uns keinen Schritt weiter!

     

    Wir brauchen dringendst und schleunigst eine Änderung der EZB-Regularien, die es dem EZB-Direktorium von Fall zu Fall ausdrücklich gestatten, die SPEKULATION der STAATSKREDIT-MAKLER direkt zu unterbinden!

    Wie?

    Z.B. indem in dringenden Einzelfällen (bei ausufernden Zinsforderungen; siehe Griechenland u. Italien) und im Einvernehmen und MIT ZUSTIMMUNG eines um weitere -autorisierte- Personen ergänzten GREMIUMS (entscheidungsbefugte, bevollmächtigte Emissäre der souveränen Eurozonen-Mitgliedsstaaten, die auch Anteilseigner der EZB sind) Niedrigzinskredite direkt an Mitgliedsstaaten weitergegeben werden dürfen, anstatt diese FINANZMITTEL an die KREDITMAKLER des PRIMÄRMARKTES "fast zum Nulltarif" weiter zu reichen, damit diese mit unverschämten Zinsforderungen die staatlichen Kreditnehmer ruinieren können!

     

    .

    4. Die DILETTANTEN, Amateuranalysten und Claqueure, die sich heute über den finanziellen und ökonomischen Niedergang Italiens freuen, weil Sie sich einbilden, dass sich DIESE SPEKULATIVEN ATTACKEN nur gegen Berlusconi richten, werden MORGEN (!) mit einem dicken BRUMMSCHÄDEL erwachen, nämlich dann, wenn FRANKREICH (i.e.S. die französischen Kreditinstitute!), das Italien mit hunderten Milliarden Euro kreditiert hat, ins VISIER der ZINSSPEKULANTEN gerat!

    .

    Falls nur ein Quentchen davon stimmen sollte, nämlich dass die erhöhten ZINSFORDERUNGEN gegen ITALIEN eine politische Forderung gegenüber Italien beinhalten, dann wäre es nicht nur ANGEBRACHT (!) sondern ÜBERFÄLLIG, von einer kriminellen (mafiösen) "politischen VERSCHWÖRUNG organisierter Kreditgeber, die sich im Einverständnis mit Teilen des politischen Establishments befinden, gegen eine demokratisch mandatierte Regierung zu sprechen.

    .

    Zur "klammheimlichen Freude" besteht kein Anlass. Heute "trifft es" Berlusconi und/oder den italienischen Staat; morgen MITTAG Frankreich und am NACHMITTAG Deutschland...

    .

    HESSE

    .

  • P
    Pirilampo

    Ich bin auch misstrauisch. Wie häufig wurde schon geschrieben, dass er sich nicht mehr halten könne. Vermutlich muss man Berlusconi, um ihn wirklich loszuwerden, in flüssigen Stahl ablassen, wie den Terminator damals.

  • EK
    er kann sich retten

    Prodi hatte 2006 Berlusconi für ein Jahr abgelöst . So wie Rot-Grün und Schwarz-Gelb kam doch wieder.

    Wird Monti der Prodi2.0 ? Wer wird unser rot-grüner Schröder2.0 ? Basta!!!

     

    Wenn die alte Regierung zurückkommt, war die Alternative keine Alternative und hat eben so wenig gebacken gekriegt.

    Siehe die Establishmentisierung der Grünen und Piraten.