Kommentar Berlins Staatssekretär Holm: Die Gentrifizierungskritik in Person
Holm analysierte stets so scharf, dass ihn die Justiz für einen Terroristen hielt. Seine Berufung zeigt, dass Rot-Rot-Grün etwas ändern will.
P olitik besteht immer aus zwei Stufen. Die wichtigste ist natürlich das Ergebnis. Oder wie ein alter Pfälzer schon wusste: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Davor aber steht das Versprechen. Die Begeisterung. Der faszinierende Gedanke, dass es geht. Anders geht. Ohne den ein Aufbruch erst gar nicht beginnt. Und genau so ein Versprechen hat der frisch ins Amt gewählte rot-rot-grüne Senat in Berlin nun gegeben. Mit der Berufung von Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen.
Eigentlich ist das eine nachrangige Personalie. Holm wird nicht Mitglied des Senats, er ist nur der wichtigste Beamte der neuen Stadtentwicklungssenatorin. Dennoch ist er unübersehbarer Beleg dafür, dass der neue Senat tatsächlich etwas ändern will.
Denn Holm ist die Gentrifizierungskritik in Person. Der Soziologe widmete sich als einer der Ersten in Deutschland den Aufwertungsprozessen von Stadtteilen und der damit einhergehenden Verdrängung der dort Lebenden. Er war in seinen Analysen so früh so scharf und so weitreichend, dass ihn die Bundesanwaltschaft vor knapp zehn Jahren sogar für einen Terroristen hielt und in Untersuchungshaft steckte.
Längst ist Holm rehabilitiert. Doch eine gewisse Radikalität ist seinen Positionen stets zu Eigen: Immer stand er aufseiten der Mieter. Er ist einer der wenigen, die deutlich darauf hinweisen, dass die von Sozialdemokraten als Allheilmittel verehrten kommunalen Wohnungsbaugesellschaften nicht immer Teil der Lösung, sondern viel zu häufig Teil des Problems sind.
Und genau diesen Mieteraktivisten mit Wissenschaftlerbonus, diesen anerkannten und zugleich radikalen Kritiker der bisherigen, einst auch von der Linkspartei verantworteten Wohnungspolitik, hievt die Linke auf einen Posten mit Verantwortung. Solch einem mutigen Schritt gebührt Respekt.
Aber muss Andrej Holm nicht fast zwangsläufig scheitern? An den hohen Erwartungen aufseiten der Mieterbewegung, am beharrlichen Widerstand einer auf Gewinn spekulierenden Immobilienbranche? Die Gefahr besteht – vor allem, falls sich herausstellen sollte, dass Rot-Rot-Grün Holm nur als Schmuckbild für die Galerie genommen hat. Doch dann scheitert nicht nur Holm, sondern auch der rot-rot-grüne Senat am selbst gesetzten Anspruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten