Kommentar Berliner Polizei: Ein Skandal, trotz aller Fortschritte
Dieter Glietsch macht einen guten Job. Seinem Nachfolger bleibt dennoch viel Arbeit. Das zeigt der Einsatz vor der iranischen Botschaft. Er sollte daher in Ruhe ausgwählt werden.
D ieter Glietsch ist ein guter Polizeipräsident, vielleicht sogar der beste, den Berlin je hatte. Wer das Gegenteil behauptet, der ist führendes Mitglied von GdP, CDU oder beiden.
Dennoch ist unübersehbar: Die Fortschritte, die Glietsch in seiner achtjähriger Amtszeit erzielt hat, sind nur so auffällig, weil die Polizei insgesamt ein äußerst konservativer Haufen ist. Der lässt lieber die Rollläden runter, als den Ansprüchen einer modernen Zivilgesellschaft gerecht zu werden.
Das zeigt sich bei großen Fragen. Die individuelle Kennzeichnung aller Beamten konnte Glietsch nur gegen heftigsten internen Widerstand durchsetzen. Das zeigt sich aber auch im Alltag, wie jetzt vor der iranischen Botschaft. Dort sind Polizisten so offensichtlich unbegründet gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, dass nur zwei Motive denkbar sind: eine absichtliche Regelverletzung oder himmelschreiende Dummheit. Keines der Motive lässt sich per Präsidentenorder ganz verhindern. Hier sprach Glietschs Behörde immerhin noch am selben Tag von einem vermutlichen Irrtum.
So viel Selbstkritik hätte es vor wenigen Jahren nicht gegeben. Das ist der kleine Fortschritt. Dumm nur, dass dem nicht die überfällige Entschuldigung des Behördenleiters folgt. Stattdessen spielt die Polizei ihr altes Spiel: Opfer von Polizeigewalt werden als angebliche Täter angezeigt.
Dieser Skandal zeigt, wie viel Arbeit Glietsch für seinen Nachfolger übrig gelassen hat. Die kann der künftige Chef nur bewältigen, wenn er absolute Rückendeckung vom künftigen Innensenator hat. Die Neuvergabe des Postens noch vor der Abgeordnetenhauswahl ist daher wenig sinnvoll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge