Kommentar Befreiung von Mossul: Ein Sieg, der keiner ist
Ohne eine Machtbeteiligung der Sunniten ist die Vertreibung des „Islamischen Staat“ bedeutungslos. Es wird keinen Frieden geben.
I rakische Soldaten jubeln vor einer unwirklichen Trümmerlandschaft. Staubige, erschöpfte Zivilisten wanken wie Gespenster zwischen den Ruinen umher. Es sind diese Bilder, die die Befreiung von Mossul prägen, der Stadt, in der der „Islamische Stadt“ 2014 sein Kalifat ausrief. Die Vertreibung der islamistischen Terrormiliz ist ein wichtiger Sieg, sogar ein Wendepunkt – zumal wenn es stimmt, dass IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi tatsächlich tot ist.
Aber dieses militärische Niederringen des IS, bei dem buchstäblich um jeden Meter gekämpft wurde, ist wertlos, wenn sich politisch nichts verändert im Zweistromland. Die Bilder der vergangenen Tage stehen dabei symbolisch für die Probleme, die in der Vergangenheit nicht gelöst wurden und jederzeit wieder zurück in den Bürgerkrieg führen können.
Zu viele Sympathisanten
Denn man sollte sich keine Illusionen machen: In Mossul hat es keineswegs nur unbeteiligte Opfer gegeben. Nicht wenige Sunniten in Mossul haben die IS-Kämpfer begrüßt und sie unterstützt, weil sie sich von der schiitisch dominierten Regierung unterdrückt und benachteiligt fühlen. Wenn Bagdad nicht für eine glaubhafte Aussöhnung, eine Machtbalance und funktionierende föderale Strukturen sorgt, in denen auch Sunniten sich vertreten fühlen, ist wenig gewonnen.
Amerikaner und Europäer hatten einen nicht unwesentlichen Anteil am Sieg über den IS. Und sie sind die wichtigsten Geberstaaten bei der humanitären Hilfe und den Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen im Irak. Sie können und sollten Einfluss nehmen, um die irakische Regierung zu einer Kehrtwende zu bewegen.
Wie ernst Bagdad eine Aussöhnung zwischen Sunniten und Schiiten nimmt, wird sich auch daran ablesen lassen, wie schnell Sprengfallen in Mossul geräumt und Wohnviertel wieder bewohnbar sind, wann Strom und Wasser wieder fließen. Kurzum: Ohne einen politischen Plan für die Zeit nach dem militärischen Sieg wird der Frieden wieder scheitern.
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