Sehr geehrter Herr Reinecke,
Deutschlandradio Kultur sendete einen Tag nach der Veröffentlichung Ihres Kommentars, am vergangenen Samstag, 10. März, kurz vor acht in der Frühe ein bemerkenswertes Interview mit dem Politologen Klaus Schroeder, dem wissenschaftliche Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin. Eine Zusammenfassung dieses Gespräches ist unter der folgenden URL verfügbar:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1699589/
Das vollständige Interview als audio on demand unter der URL:
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2012/03/10/drk_20120310_0749_aad487d1.mp3
Gemessen an dem, was Herr Schroeder über den derzeitigen Stand der zeitgeschichtlichen Forschung zu berichten weiß, fehlt es Ihrem Kommentar sowohl an intellektuellem Mut als auch an kritischer Schärfe. Meine Replik habe ich nur geringfügig modifiziert und die Bezüge auf Kommentare von Hörern auf der entsprechenden Facebook-Seite von DRK hier stehen lassen, weil sie eine Menge über das derzeitige politische und intellektuelle Klima im Lande aussagen.
Wer das Interview genau verfolgt hat, wird Herrn Schroeder nicht als "Experten mit selektiver Wahrnehmung" denunzieren können, wie das Peter Schild umstandslos tut. [http://www.facebook.com/dkultur] Nur nebenbei gestatte ich mir darauf hinzuweisen, dass ein sorgsamer Umgang mit der eigenen Sprache durchaus sinnvoll ist. Wenn Sie, Herr Schild, etwas gründlicher nachgedacht hätten, wäre Ihnen sicher zu Bewusstsein gekommen, dass hier keine Präpositionalphrase, sondern ein Genetiv (genau genommen ein genetivus subjectivus) zu verwenden ist.
Man kann Herrn Schroeder nicht anlasten, dass zwei der Kommentatoren, Herr Pulz und Herr Blum, erstens eine völlig absurde 'These' in nahezu identischer Formulierung aufstellen. OT-Pulz:
"Nach Auflösung der SA war es 'Watschen-Bea', der wir die Wiedereinführung von Gewalt gegen Menschen als Mittel der politischen Auseinandersetzung verdanken."
OT-Blum:
"Klarsfeld hingegen hat mit dazu beigetragen, Gewalt als Mitel der politischen Aktion zu legitimieren, Gewalt gegen Menschen."
Wer auch nur halbwegs bei Sinn und Verstand ist, wird diesen Schwachsinn nicht ernstnehmen können, weshalb er hier auch nicht des weiteren in Betracht zu ziehen ist. Er unterschreitet bei weitem das Niveau jeglicher Kritik, ist buchstäblich indiskutabel. Ernstzunehmen ist freilich die Sprache, derer sich beide bedienen. Es ist der Jargon des völkischen Nationalismus, in dem sie sprechen. Dass dies der Online-Redaktion von DRK entweder gar nicht auffällt oder aber keines Kommentars wert ist, darauf wird zurückzukommen sein.
Frau Klarsfeld wäre gut beraten, aufgrund des von Herrn Schroeder überzeugend - soweit dies in der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit möglich ist - dargestellten Sachverhaltes ihre Kandidatur zurückzuziehen. Das wird nicht geschehen. Das ist kein Schaden, sagt Herr Schroeder; im Gegenteil wird dadurch endlich publik, mit welcher Doppelmoral das staatssozialistische DDR-Regime sich seiner historischen Verantwortung für die verhängnisvolle deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert entzogen hat. Dass der Antisemitismus ein zentraler Bestandteil des rassenideologischen Sozialdarwinismus der NS-Ideologie war und welche verheerenden Wirkungen daraus resultierten, hat die Geschichtswissenschaft der DDR nie auch nur ansatzweise in den Blick bekommen. Tatsächlich sind die wichtigsten Arbeiten zur Erforschung der NS-Zeit und deren Kontinuitätslinien bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jhdts. hinein nahezu ausschließlich in der BRD erschienen. Freilich bedurfte es dazu schon einer grundlegenden Veränderung der restaurativen Tendenzen in Westdeutschland, welche erst durch die weltweite Protestbewegung der 60er Jahre systematisch in Gang kam.
Nur ein Beispiel dafür: Als Alexander Mitscherlich und Fred Mielke den sog. Ärzteprozess vor dem I. Amerikanischen Militärtribunal von Dez. 1946 bis August 1947 kurz darauf in dem Buch "Medizin ohne Menschlichkeit" dokumentierten, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Ärzteschaft. Von Nestbeschmutzung war die Rede. Es dauerte mehr als 30 Jahre bis die ersten großen Monographien erschienen, welche die Geschichte der Medizin im NS kritisch aufklärten. Ich nenne hier nur zwei der besten Arbeiten:
Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Frauenpolitik und Rassenpolitik. (zuerst Opladen 1986) Monsenstein & Vannerdat, 2010
Hans-Walter Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung lebensunwerten Lebens 1890–1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1987
Frau Klarsfeld sollte ihre Kandidatur aus Vernunftgründen zurückziehen, keinesfalls weil sie Kiesinger ohrfeigte. Dass Kiesinger der NSDAP aus karrieristischen Beweggründen beitrat, kann diese Parteinahme weder relativieren und schon gar nicht rechtfertigen. Der Bundeskanzler der großen Koalition hatte die Ohrfeige redlich verdient, Frau Klarsfeld das Verdienst dafür.
Dass die Partei mit dem anmaßenden Namen 'Die LInke' sich nicht entblödete, eine eigene Kandidatin um die Pool-Position eines Grüß-August ins Rennen fördert den durch und durch spießigen Charakter der Gysi/Lafontaine-Truppe zutage, die von ihrer staatssozialistischen Gesinnung weder lassen kann noch will, sondern sich drollig als die "eigentliche, authentische Sozialdemokratie" begreift und politisch vermarktet. Darauf hat die Welt gewartet, dass die elende sozialdemokratische Geschichte, die wesentlich mit zu den Katastrophen des 20. Jhdts. beigetragen hat, nun gleich zwiefach über uns kommt. Die Fahne über der SPD-Baracke in der Berliner Wilhelmstraße ist nur mehr vor lauter Scham rot; und diese 'Linke' sollte sich schämen, weil sie an einem Ort, der den Namen Rosa Luxemburgs trägt, völlig deplaziert ist. Nichts als beißende Kritik, Hohn und Spott hätte Rosa für die Gysis, Lafontaines, Wagenknechts et tutti quanti übrig gehabt.
Daraus folgt allein schon aus logischen Gründen mitnichten eine Parteinahme für die Kandidatur Gaucks. Offen gestanden ist mir als Griechen sowieso piepegal, welchen Grüß-August ihr euch glaubt antun zu müssen. Gauck, so posaunte die saudumme Frau Claudia Roth in die Welt, Gauck werde Glanz in die Demokratie bringen; und ihr innerparteilicher Rivale, Herr Trittin, wurde in der ZDF-Sendung 'Maybritt Illner' geradezu ausfallend gegen die Chefredakteurin der taz, die Gauck als das charakterisierte, was er ist: ein eitler, geltungssüchtiger Dummschwätzer. Außerdem bin ich empört, dass demnächst im Schloss Bellevue ohne Trauschein gevögelt wird. Wie wollt ihr denn diesen Grüß-August dem Papst zumuten, wenn der HEILIGE VATER wieder vor dem Bundestag erscheint und dort eine reaktionäre, anti-aufklärerische Rede hält, für die er - abgesehen von dem Gysi/Lafontaine-Trupp - von allen, ausnahmslos allen im Parlament vertretenen Parteien standing ovations erhielt. Herr Trittin war gerade noch rechtzeitig aus seinem dogmatischen Schlummer erwacht, um seiner staatspolitischen Verantwortung gerecht zu werden.
Aufgrund der unverschämten Zensur der Beiträge meines Kollegen und Freundes Andreas Müller werde auch ich auf diesen Seiten von Deutschlandradio Kultur kein Jota mehr 'posten'. Wir haben uns gestern Abend nochmals über den Stand der Dinge unterhalten. Resultat: Ich teile sein abgrundtiefe Verachtung für das Vorgehen der Redaktion von DRK, namentlich des genialen, einzigartigen, unwiderstehlichen, charmanten, brillianten Herrn Dieter Kassel und des willfährigen Online-Redakteurs, der mir namentlich nicht bekannt ist. "Gehorsam, fleißig, geistig matt, die hab' ich satt." (Wolf Biermann, als er noch Witz und Verstand hatte)
In diesem Sinne
Aufwiedersehen
Kalimera
Andreas Lefteridis
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?