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Kommentar Athener ReformplanDas Soziale kommt zum Schluss

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die griechische Regierung musste mit der To-do-Liste ihr Wahlprogramm auf den Kopf stellen. Das Schuldendrama ist damit aber noch nicht zu Ende.

Mussten kleinbeigeben: Alexis Tsipras (r.) und sein Finanzminister Janis Varoufakis. Bild: dpa

M ehr als 60 Einzelpunkte umfasst das Reformprogramm, das die neue griechische Regierung in Brüssel vorgelegt hat. Gerade einmal vier Punkte handeln von der humanitären Krise. Sie kommen ganz zum Schluss der To-do-Liste, die die Gläubigerländer ultimativ gefordert hatten. Zudem sind sie mit Prüfaufträgen und Vorbehalten versehen.

Das sagt eigentlich alles: Premierminister Tsipras und sein Finanzminister Varoufakis mussten nicht nur Kreide fressen. Sie mussten auch ihr Wahlprogramm auf den Kopf stellen. Statt einer sozialen legen sie nun eine liberale Wende hin – ganz so, wie es Bundesfinanzminister Schäuble und andere seiner dogmatischen Kollegen in der Eurogruppe gefordert haben. Am mangelnden Willen von Tsipras oder Varoufakis lag es nicht. Doch ihre politischen Gegner sind einfach zu übermächtig.

Die schiere Zahl der Reformprojekte enthält aber noch eine andere Botschaft: All das kann beim besten Willen nicht bis Juni umgesetzt werden, wie es Schäuble & Co. fordern. Das hat nichts mit Parteipolitik, mit links oder rechts zu tun, es geht einfach nicht. Europa muss Griechenland mehr Zeit geben, da hat der US-Ökonom Paul Krugman völlig recht.

Wird Athen diese Zeit bekommen? Bisher ist nicht einmal sicher, ob sich die Eurogruppe mit dem neuen Programm zufrieden gibt. Obwohl die Troika schon zugestimmt hat, ist die Versuchung vor allem in Deutschland groß, nachzukarten und noch mehr, noch härtere Reformen zu fordern. Härte zahlt sich aus, nicht wahr?

Nein, Härte ist zynisch. Griechenland wurde von den Gläubigern in ein Korsett gezwängt, aus dem es sich unmöglich selbst befreien kann. Ende Juni könnten wir deshalb vor derselben Situation stehen wie vor zwei Wochen. Das Schuldendrama geht weiter, selbst von griechischer Seite erfolgreich beendete Reformen dürften daran nichts ändern.

Die Eurogruppe, in der die Finanzminister die Steuer- und Wirtschaftspolitik koordinieren, hat der neoliberalen Reformliste zugestimmt. Jetzt ist nur noch der Bundestag am Zuge. Er darf, ja muss sich zum griechischen Reformprogramm äußern.

Das Europaparlament hingegen hat nichts zu melden. Vielleicht wäre an dieser Stelle endlich auch mal eine Reform fällig? Es müssen ja nicht gleich 60 Punkte sein.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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7 Kommentare

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  • Es ist dringend erforderlich, dass Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, mit kurzer Pressekonferenz, verboten werden.

     

    Ohne eine umfassende, öffentliche Informationspflicht, Tagungsprotokolle, Telefonprotokolle, jede Art von Kommunikation ist lückenlos zu erfassen, in die europäischen Landessprachen zu übersetzen, und zu veröffentlichen.

     

    Vorbild sollte da so etwas sein, wie Datenerfassung der Geheimdiente über die Bevölkerung.

     

    Ich bin es Leid den durchkonstruierten Kommentatoren der Regierung zu lauschen und mir irgendwelche, vorsortierten Informationsschnipsel vorsetzen zu lassen.

  • 3G
    3618 (Profil gelöscht)

    Wenn man dann noch die Dokumentation auf ARTE über die Troika liest, erfasst einen kalte Wut.

    Und der der Spruch von Schramm über Schäuble beim kabarettistischen Aschermittwoch passt wirklich.

    Ist wahrscheinlich nicht netiquette-tauglich, deshalb lieber selbst nachhören:

    http://www.wdr5.de/sendungen/unterhaltungamwochenende/aschermittwoch174.html ab Min.51:00

    und hier die Arte-Doku

    http://www.arte.tv/guide/de/051622-000/macht-ohne-kontrolle-die-troika?autoplay=1?autoplay=1

    Schäuble vertritt mitnichten deutsche Interessen, er ist rechthaberischer, selbstgerechter "alter Herr", der meint er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen.

    Ich hege nur noch Abscheu gegen diese Riege an Undemokraten.

    • @3618 (Profil gelöscht):

      Erklären sie mir mal bitte was sie mit "Undemokratisch" meinen?

      • 2G
        2097 (Profil gelöscht)
        @Thomas_Ba_Wü:

        "Undemokratisch" ist es, demokratisch gewählten Vertretern eines anderen Landes seine Politik aufzudrängen. "Undemokratisch" ist es, eine Institution einzusetzen, die nicht demokratisch legitimiert ist. "Undemokratisch" ist es, den Ausverkauf des griechischen Volkseigentums zu Spottpreisen zu forcieren. "Undemokratisch" ist es, nicht im Sinne der Mehrheit zu handeln und die vermögenden verantwortlichen Eliten nicht zur Rechenschaft zu ziehen und im NSA Zeitalter nicht die ins Ausland an der Steuer vorbei geflossenen Milliarden zurückzuholen.

  • Tja, der Schäuble, das ist mal einer.

     

    Vertritt er doch als deutscher Finanzminister tatsächlich in erster Linie deutsche Interessen, in zweiter Linie Interessen der EU und erst in dritter Linie die Interessen eines Drittstaates.

     

    Und weigert sich einfach, den Wechsel den Tsipras & Co. u.a. auf ihn gezogen haben, um an die Macht zu kommen, zu akzeptieren.

  • Sparen und Ausgaben minimieren ist ja nichts Falsches. Aber wenn jemand schon fast nichts mehr hat und ihm das was ihm noch übrig blieb auch noch weggenommen wird, hat er sowieso nichts mehr zu sparen und wird immer tiefer in Abhängigkeit gehalten. Darauf laufen die Reformen hinaus. Die Griechen werden in D stets als faules Volk dargestellt und so getan als müsse der Deutsche für diese Deppen herhalten (Springer) - wer Griechen kennt, diese sind sehr stolz (Kultur), auch etwas übertrieben teils...Aussagen von Varoufakis wurden neulich sehr verdreht dargestellt, als habe er gesagt die Deutschen müssten letztendlich immer zahlen (Illner). So züchtet man Feindbilder die weder den Griechen noch "Gläubigern" helfen. Die Frage ist doch ob Griechenland aus der Misere herauskommt. Die Austeritätspolitik des Merkelclubs und der EU hat da hingeführt wo das Land jetzt ist; da wo aufgehört wurde wird jetzt weiter gemacht. Wie einem Hund dem man immer kleine Bröckchen hinwirft, so dass er was zu essen hatt, aber nie satt werden kann.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Ja wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns um soziale Belange kümmern? Es geht doch auch ohne: die Leute haben schnell gelernt, ihre Kinder in SOS Kinderdörfern abzugeben, weil sie zu Hause nichts mehr zu Essen haben. Die Selbstmordrate steigt, das löst weitere Probleme. Wichtig sind die Banken, die müssen weiter Profite machen. Basta. Die Griechen sind doch selber Schuld, haben sie doch jahrelang unglaublich viel Geld bekommen. Die Griechen? Der griechische Taxifahrer? Der Postbote in Athen? Die Krankenschwester auf Kreta? Haben die tatsächlich alle ihre Konten gefüllt? Wirklich? Na dann!! Und gearbeitet haben die alle sowieso nicht, die haben nur Wein getrunken und in der Sonne gelegen. Hingegen haben sich die Reeder hingebungsvoll bemüht, ihre Kohle in der Schweiz oder Luxemburg oder sonstwo sicher unterzubringen. Die EG bemüht sich vehement, solche Steuerparadiese auszutrocknen. Das sieht man aktuell im Falle Luxemburgs ganz deutlich. Erst in jüngster Vergangenheit hat Schäuble ein knallhartes Steuerabkommen mit der Schweiz durchsetzen wollen, bei dem diese Betrüger bestens abgeschnitten hätten. Kurzum, die EU ist beteiligt an diesem gesamten Dilemma. Auch wenn man die US Politik in vielen Bereichen kritisieren kann, in Sachen Steuergeheimnis hat sie der Schweiz gezeigt, wo der Hammer hängt. Sowas stünde der EU auch sehr gut an und würde allen helfen - nur den Banken und Zockern nicht. Und deshalb unterbleibt es.