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Kommentar Asylpolitik unter JamaikaObergrenze? Ja, aber …

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Eine Begrenzung darf nur für Asylverfahren gelten, die Deutschland freiwillig übernimmt. Dafür muss der Familiennachzug wieder erlaubt werden.

Die meisten kommen auf Grundlage des EU-Flüchtlingsrechts – Erstaufnahmeeinrichtung in Tübingen Foto: dpa

D ie Diskussion über eine Obergrenze für Flüchtlinge wird viel zu sehr als Ja/Nein-Diskussion geführt. Eine Einigung in der entstehenden Jamaika-Koalition erfordert aber auch in der Flüchtlingspolitik ein sinnvolles Gesamtpaket. Die für die CSU unverhandelbare Obergrenze sollte dabei auf diejenigen Asylverfahren konzentriert werden, die Deutschland freiwillig übernimmt, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein.

Das Grundrecht auf Asyl kann nicht durch eine Obergrenze gedeckelt werden. Allerdings spielt es praktisch seit der Grundgesetzänderung 1993 auch keine große Rolle mehr. Der Großteil des Schutzes wird längst über das Flüchtlingsrecht der Europäischen Union gewährt.

Dieser EU-Schutz ist einerseits großzügiger als das alte deutsche Grundrecht, weil er auch subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge bietet. Anderseits wird der Schutz in der EU gewährt und nicht speziell in Deutschland. Welcher Staat in der Europäischen Union zuständig ist, bestimmen die Dublin-Regeln. Meist sind es die EU-Außenstaaten.

Deutschland hat aus Solidarität dennoch Hunderttausende Asylverfahren übernommen und Flüchtlinge nicht nach Italien, Ungarn oder Slowenien zurückgeschickt. Dieses Selbsteintrittsrecht ist in der Dublin-III-Verordnung vorgesehen. Die Bundesrepublik Deutschland kann aber politisch entscheiden, in welchem Maße es davon Gebrauch macht. Hier können durchaus auch politisch definierte Obergrenzen eine Rolle spielen.

Entscheidend ist, was daneben möglich ist. So muss es großzügige Kontingente für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge geben, die nicht den Weg nach Europa schaffen. Der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge muss wieder erlaubt werden.

Und ein Einwanderungsgesetz darf sich nicht nur auf IT-Spezialisten fokussieren, sondern sollte auch den Migranten eine Chance geben, die sich bisher ohne Erfolgsaussichten auf das Asylrecht berufen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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16 Kommentare

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  • Die Forderung nach einer konkreten Obergrenze (unausgesprochen: auch für Asylberechtigte) ist die Reaktion auf den politisch, fiskalisch und administrativ absurden und verfassungsrechtlich zweifelhaften (die Verfassung kann man übrigens andern!) Satz, das Recht auf Asyl kenne keine Obergrenze. Das kann offenbar keine Leitlinie der Migrationspolitik sein. Unabhängig davon, ob eine solche Obergrenze derzeit konkret fest gelegt werden muss oder überschritten ist. Die Kompromisslinie könnte hier lauten: Die Regierungsparteien sind sich einig, dass viel für die Integration getan und auch investiert werden muss und damit Integrationskraft des Landes begrenzt ist. Sie sind sich einig, dass die deutschen Außengrenzen geschützt werden müssen, wenn es wieder zu einer "Situation wie 2015" kommt und einigen sich schon jetzt auf mögliche, konkrete Maßnahmen, die hoffentlich nicht erforderlich werden. Sie sind sich einig, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Obergrenze zu schaffen, sofern die weitere Entwicklung dies erforderlich macht, was es europapolitisch und außenpolitisch zu vermeiden gilt.

  • "großzügige Kontingente für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge"

     

    Welche Flüchtlinge sind denn besonders schutzbedürftig?

     

    Rohingas als meistverfolgte Minderheit der Welt? Afrikaner aus libyschen Lagern? LGBT aus dem arabischen Raum? Sunnitische Moslems die von Schiiten verfolgt werden oder umgekehrt?

     

    Wer entscheidet über die Schutzbedürftigkeit? Wenn das Kontigent voll ist, ist dieser Kontigentvorschlag genauso brutal wie die AFD-Position "keine Flüchtlinge".Irgendwann muss man auch bei der Kontigentlösung hart sein und Hilfe verweigern.

  • Ich persönlich halte ein Einwanderungsgesetz jenseits der Asylverfahren gleichfalls für sinnvoll. Allerdings wäre dafür ein Punktesystem hinsichtlich der Qualifikationen erforderlich, welches ähnlich strikt, wie in Kanada, an den tatsächlichen Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert sein muß. Auch wäre es sinnvoll, wenn ein solches Verfahren deutsche Sprachkompetenzen bereits vorweg voraussetzt. Auch die Rückführung solcherart aufgenommener Migranten, müsste vorweg äußerst konsequent geregelt sein, falls diese Migranten gegen deutsche Regeln und Gesetze verstoßen.

    • @Michael Heinen-Anders:

      Das Einwanderungsrecht wird aber die die Probleme mit Wirtschaftsflüchtlinge nicht lösen.

       

      Es sei denn sie gestalten dass so dass jeder bei dem das Asylrecht nicht zieht den Joker "Einwanderungsrecht" ziehen kann. Populistisch gesagt -> wer atmet hat schon genug Punkte.

       

      Ich bin auch für ein Einwanderungsgesetz nach "unserem" Bedarf und Punkte.

      Nur wird das nur einen sehr sehr kleinen Teil der "Armutsflüchtlinge" irgendwie weiterbringen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Die Obergrenze wird doch faktisch eingeführt, indem die EU so genannte "Lager" in Quasi-Diktaturen und Bürgerkriegsländern baut, die in der Öffentlichkeit nicht genau mit der Bezeichnung benannt werden, die es in der Politikwissenschaft eigentlich für so etwas gibt.

     

    Damit meine ich nicht "Flüchtlingslager" (euphemistisch) oder "Internierungslager" (Krieg gegen Flüchtlinge?), auch keine "Vernichtungslager" (das wäre so nicht beweisbar). Allerdings gab es in der deutschen Geschichte schon "Lager" mit ähnlichem Zweck, wie sie es auch im Sowjet-Kommunismus gab.

    Für solche "Lager" gibt es in meiner Sprache nur ein Wort. Das heißt nicht "Obergrenze".

     

    Der italienische Philosoph Berardi hat diesen Begriff schon für die zeitgenössischen "Lager" benutzt und sein Gedicht zu lesen, wurde bei der documenta in Kassel verboten, weil es angeblich den Holocaust verharmlose.

    Wer aber die Dinge nicht beim Namen nennt, oder dies gar verbietet, verharmlost die Gegenwart.

     

    Darum schreib ich's jetzt auch, das gemiedene Wort: Konzentrationslager. Da geht es sogar weniger um die Bedingungen, als um den Zweck.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Wohin sollen diejenigen auswandern, die hier nicht von ihrem Lohn und ihrer Rente leben können? Wo sollen die Obdachlosen hin, die in der BRD leben?

    Gibt es Länder, die diese Menschen aufnehmen und ihnen eine Zukunftsperspektive geben?

  • "Obergrenze nein, aber ..."

    Bitte nur so, denn "Obergrenze ja, aber..." darf es gerade in Deutschland nicht Realität werden, egal, wie viele "aber"s wir dem folgen lassen.

  • Wir Jamaika so eine Art AfD light?

  • Die Wahrnehmung entspricht nicht der Wirklichkeit. Seit zwanzig Jahren surft Deutschland im Ausländerrrecht auf der Grenze des rechtlich Erlaubten und nimmt - abgesehen von ganz wenigen Bluecard-informatikern - nur noch Menschen auf, zu denen es nach der Genfer Konvention international verpflichtet ist. Das eigene Asylrecht haben wir schon 1993 abgeschafft, Rechtsmittelfristen wurden danach auf 8 Tage bzw. 24 Stunden verkürzt, es gibt keine Rechte für gestrandete Studierende, wer einmal irrtümlich Asyl beantragt hat fliegt automatisch raus, verfassungswidrig wird der Familiennachzug versagt. Und jetzt, nachdem die gezielte Abwälzung auf Italien und Griechenland nicht mehr funktioniert, werden auch noch mit Mafia-Methoden die EU-Außengrenzen verschlossen. Mehr Härte geht beim besten Willen nicht. Deshalb auch wusste Merkel am Wahlabend nicht, was sie denn noch für AfD-Wähler ändern sollte. Deutschland ist und bleibt juristisch betrachtet eines der ausländerfeindlichsten Länder der Welt, gemildert nur durch eine bislang relativ entspannte Bevölkerung.

    • 8G
      82732 (Profil gelöscht)
      @hedele:

      Wie "Wahrnehmung" und "Wirklichkeit" doch auseinander fallen können!

       

      "Wirklichkeit" ist, dass seit 2015 in der Grössenordnung 1-2 Million Menschen nach Deutschland gewandert sind und -egal was irgendwelche Gesetze eigentlich vorsehen & egal wie Anerkennungsverfahren ausgehen- davon am Ende 90-95% dauerhaft dableiben werden.

    • 8G
      82278 (Profil gelöscht)
      @hedele:

      "Der Großteil des Schutzes wird längst über das Flüchtlingsrecht der Europäischen Union gewährt."

       

      Das heisst, das Gefühl der Menschen, dass das Grundgesetz keinen Schutz mehr gegen staatliche Willkür bietet, ist berechtigt. Die EU bietet keinerlei Rechtssicherheit mehr.

       

      Die EU unterminiert das Rechtsempfinden der Bürger und das wird exakt der Grund sein, warum sie (zurecht) scheitern wird.

    • 8G
      82278 (Profil gelöscht)
      @hedele:

      @HEDELE

       

      "verfassungswidrig wird der Familiennachzug versagt"

       

      wo im Grundgesetz wird der Familiennachzug geregelt???

       

      " Das Bundesverfassungsgericht

      hat dazu in seinem grundlegenden Beschluss aus dem Jahr 1987 festgestellt,

      dass die aufenthaltsrechtlichen Wirkungen des Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1 GG keinen grundrechtlichen

      Anspruch auf Familiennachzug begründen"

      https://www.bundestag.de/blob/489006/73d5b14ea8c20bdc175c16e68726a73e/wd-3-239-16-pdf-data.pdf

      • @82278 (Profil gelöscht):

        Es wäre schön,wenn Sie einen Hyper-Link für die Primärquelle und nicht Sekundärquelle angeben könnten. Damit man die ganze Entscheidung, ohne das es aus dem Kontext gerissen ist, lesen könnte.

         

        Für den Schutz eines jeden Familie greift nicht nur der Art. 6 GG.

         

        aber

         

        grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten!

         

        Ein vergleichbarer Beispiel, wie BVG Familie schützt und eine beispielhafte Auslegung des Art. 6 zum Schutze eines ausländischen Beschwerdeführers vornimmt, können Sie nachlesen.

        http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2008/05/rk20080510_2bvr058808.html

  • Vielleicht muss man die Begriffe "Flüchten" und "Migration" ganz neu definieren. Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit sind ein häufiger Grund, die Heimat zu verlassen und woanders sein Glück zu suchen. Das war schon immer so - sonst gäbe es z.B. die USA nicht. Überhaupt ist Migration der Motor der Evolution. Wären alle Lebewesen immer an einem Standort verblieben, hätte sich nie etwas anpassen, verändern und abwandern müssen, dann würden wir vermutlich noch als Kaulquappen leben. -

     

    Wo soll man die Grenze setzen zwischen "geflüchtet vor lebensfeindlichen Zuständen" und "geflüchtet vor Armut und Hunger"?

    Sicher, Krieg ist ein sehr plastischer Indikator für lebensfeindliche Zustände, ebenso Verfolgung eines Glaubens oder Terror. Aber es lässt sich wohl kaum genau abgrenzen, bis wohin die Folgen von Kriegshandlungen reichen. Kann denn ein Anwohner eines Nachbarlands in Sicherheit leben, wenn wenige Meter weiter ständig Bomben fallen? Selbst wenn ein Krieg vorbei ist, muss das nicht bedeuten, dass eitel Frieden herrscht. Oft genug geht es dann erst richtig los mit Verfolgung, Hass, Unterdrückung.

     

    Ich denke, man sollte die Gesetze europaweit den realen Gegebenheiten anpassen. Also auch Migranten akzeptieren, die nicht direkt aus einem anerkannten Kriegsgebiet kommen. Die westliche Industrie lebt teilweise gut auf Kosten der sog. Dritten Welt, beutet ihre Bodenschätze und ihre Äcker aus und benutzt die Menschen als billiges Arbeitsmaterial. Das muss man in die Migrationsberechnungen einbeziehen. Wie wäre es mit einer Kostenbeteiligung der Wirtschaft proportional zu den so erzielten Gewinnen?

     

    Sicher, wir können nicht die Bevölkerung ganzer Kontinente in wenigen Ländern aufnehmen. Zumal die Herkunftsländer dadurch ausbluten würden. Und die fremden Kulturen in unsere zu integrieren ist auch nicht immer leicht. Aber man sollte faire Einwanderungsregeln haben, z.B. bezüglich Überlebensfähigkeit (Beruf), Integrationswillen und eben auch Hintergrundsituation.

  • Was soll das Geschwätz? Für Asylanten, die Deutschland DIREKT erreichen gibts KEINE Obergrenze! Für Asylanten, die über ein EU-Land nach Deutschland wollen entscheidet Deuzschland im Einzelfall, wer reinkommen darf (auf keinen Fall Leute OHNE Ausweispapiere. Wer bleiben darf und wie lange entscheiden die Asylbebehörden. So einfach kann die Weld sein. Und die AfD geht retour auf 3-4 %.

    • @Alexas Alexander:

      Ja, Deutschland ist schließlich schon genug belastet mit den ganzen schwedischen Flüchtlingen und andere Leute, die direkt über die Ostsee und mit Fallschirmen nach Deutschland kommen.