Kommentar „Armutszuwanderung“: Keine Europäer zweiter Klasse
Wenn die Union jetzt zum Kampf gegen „Armutszuwanderer“ aus Rumänien und Bulgarien bläst, heißt das: Sie will eine Zwei-Klassen-EU.
D ie EU wurde dafür gemacht, dass ihre Bürger sich frei darin bewegen können. Und zwar alle. Wenn die Union jetzt zum Kampf gegen „Armutszuwanderer“ aus Rumänien und Bulgarien bläst, dann heißt das: Sie will eine Zwei-Klassen-EU. Eine für die Armen, die die „Freizügigkeit mißbrauchen“ und eine für die Reichen.
Rumänen und Bulgaren mit Ausbildung kommen hierher, um zu arbeiten. Schon seit Jahren. Das ist ihr gutes Recht, es ist Teil der europäischen Idee, ganz zu schweigen davon, dass es der Wirtschaft nützt. Viele finden Jobs, sie zahlen in die deutschen Sozialkassen ein, manche bleiben. Hierzu waren, nebenbei bemerkt, von der Union auch noch nie die jetzt so lauten Klagen über „Einwanderung in die Sozialsysteme“ zu hören.
Aber es finden eben nicht alle Arbeit. Das soll auch anderen Leuten passieren. Dass die Roma dies mit Absicht tun und mit dem festen Vorsatz hierher kommen, nur Sozialhilfe einzustreichen, ist eine bösartige Unterstellung.
Die kommt nicht von ungefähr: Es ist eine urdeutsche Befindlichkeit, den eigenen Wohlstand in ständiger Gefahr zu sehen. Es ist das konservative Programm, mit dieser Angst Politik zu machen. Und das funktioniert immer dann am besten, wenn es jemanden gibt, auf den diese Angst projiziert werden kann.
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, dann Redakteur bei taz1, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Schwerpunkte: Migration, Entwicklung, Soziale Bewegungen. 2016 erschien von ihm im Ch. Links Verlag "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung. Im selben Verlag erscheint im Oktober "Dikatoren als Türsteher. Europas Grenze in Afrika".
Mal sind es die Griechen, mal die Asylbewerber, aber niemand taugt dazu so gut wie Roma. Wohl keine andere Gruppe ist derartig mit negativen Assoziationen belegt wie sie, und die Union tut gerade alles dafür, dass das auch so bleibt. In Ost- und Südeuropa führt die staatlich befeuerte Roma-Feindschaft regelmäßig zu Progromen und Gewaltausbrüchen. Deutsche Politiker geißeln dies dann gern, verbunden mit der Aufforderung, solche Auswüchse in Zukunft zu verhüten, auf dass die „Zigeuner“ da bleiben, wo sie sind.
Ja, sie kommen weil sie arm sind, ja, das kostet manchmal Geld und ja, manchmal macht es Probleme. Aber das muss Deutschland aushalten. Dazu ist es weiß Gott reich genug und es ist Teil seines europäischen Versprechens. Das darf nicht wieder relativiert werden, wenn ein CSU-Innenminister dies gerade für opportun hält. Und es ist auch eine Verpflichtung aus der deutschen Geschichte: Ein Land, das erst vor wenigen Jahrzehnten versucht hat, die Sinti und Roma auszurotten, sollte froh sein, dass Roma überhaupt wieder herkommen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene