Kommentar „Arisierungs“-Mahnmal: Geschichte vom Hals halten
Das „Arisierungs“-Mahnmal soll nicht am historisch richtigen Ort stehen. Die fragwürdige Botschaft ist klar: Bitte Kühne+Nagel nicht zu sehr ärgern.
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Das kann man Fortschritt nennen: Vor zwei Jahren applaudierte das offizielle Bremen der Jubiläumsshow eines Weltkonzerns, der seine NS-Profite offensiv leugnete. Mittlerweile fordern alle Bürgerschaftsfraktionen einen Erinnerungsort, der Bremens spezifischer Rolle bei den umfangreichen „Arisierungs“-Geschäften gerecht wird: der Logistik der „Verwertung“. Das ist sogar beim Focus angekommen: Kühne+Nagel seien „die Packesel des Führers“ gewesen, formuliert das Magazin.
Richtig ist, dass neben Kühne+Nagel auch andere in Bremen mit den Hufen scharrten, als Profit mit dem Besitz der Deportierten winkte. Aber niemand war dabei so effizient wie der heute weltweit drittgrößte Logistik-Konzern, der seine Internationalisierung vehement auf den Spuren der Wehrmacht vorantrieb. Verglichen mit diesen Dimensionen blieben die anderen Bremer Speditionen kleine Krauter. Obwohl sie – wie wiederum auch Kühne+Nagel – von der jüdischen Auswanderung profitierten.
Vor drei Wochen sollte das Mahnmal an die Grenzstraße. Nun favorisiert das Kulturressort einen Ort auf Höhe der Jugendherberge – das ist immer noch nicht Innenstadt, aber immerhin ein sichtbarer Ort. Doch nach wie vor folgt die Stadt der Linie, dem Konzern die räumliche Nähe zu einem Erinnerungsort zu „ersparen“.
Dabei hat die Bürgerschaft bereits beschlossen, dass für das Mahnmal „insbesondere auch ein Standort im Umfeld des Neubaus der Firma Kühne+Nagel einzubeziehen“ sei. Nur die FDP war dagegen, die CDU enthielt sich. Nun könnte man semantisch deuteln, ob ein Kilometer weserabwärts und zwei Brücken weiter noch als „Umfeld“ gelten.
Die Profiteure sind 12 Gehminuten entfernt
Politisch hingegen ist die Botschaft klar: Bitte Kühne+Nagel nicht zu sehr ärgern. Doch die Vermeidung des historischen Ortes bedeutet nicht nur Konflikt-, sondern auch Verantwortungsvermeidung: Die jungen Leute bei Jugendherberge sollen sich mit Geschichte befassen – die größten Profiteure dürfen sie sich hingegen, als sichtbare Erinnerung, vom Hals halten. Konkret: 12 Gehminuten.
Die Begründung für eine Verortung im Stephaniquartier ist fragwürdig. Sie lautet: Dort waren schon damals Speditionen ansässig. Warum wäre es okay, die Kleineren zu adressieren, wenn man genau das bei dem Großen als falsch bezeichnet?
Sehr anerkennenswert ist hingegen, was das Kulturressort anscheinend in Sachen Aufarbeitungsbereitschaft bei Bremer Unternehmen geschafft hat. Denn dass diese Gespräche alles andere als einfach waren, kann man sich vorstellen. Bei seinem Jubiläum hatte Kühne+Nagel noch erklärt, seiner Rolle in der NS-Zeit mangele es „an Relevanz“. Diese Relevanz muss nun auch die Stadt realisieren.
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