Kommentar Anti-Brexit-Paket: Gewaltiger Rückschritt
EU-Ratspräsident Tusk wäre gut beraten gewesen, sich auf keine Kungel-Runde mit dem britischen Premier einzulassen. Macht er leider doch.
S chlechtes Timing – das ist das Mindeste, was man Großbritannien und seinen Freunden in der EU vorwerfen muss. Mitten in der schlimmsten Krise der europäischen Einigung haben sie nichts Besseres zu tun, als neue Extrawürste für die Insulaner auszuhandeln.
Die Sonderregelungen tragen so schöne Namen wie „Notbremse“ oder „rote Karte“ und sollen dazu beitragen, den Briten den Verbleib in der EU schmackhaft zu machen. Das behauptet jedenfalls der britische Premier David Cameron. Ohne einen „neuen Deal“ könne das EU-Referendum verloren gehen, droht er.
Doch lässt sich mit einer Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Sozialleistungen für EU-Bürger wirklich der „Brexit“ – also der Austritt Großbritanniens – abwenden? Was ist gewonnen, wenn London sich von der „immer engeren Union“ der 28 Staaten verabschiedet?
Diese Fragen hätte sich nicht nur Cameron stellen müssen, als er seine Verhandlungen in Brüssel begonnen hat. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk wäre gut beraten gewesen, an das große Ganze zu denken, bevor er sich auf die Kungel-Runde mit dem britischen Premier einließ.
Nun stehen beide mit dem Rücken zur Wand. Für Cameron ist der Vorschlag, den Tusk am Dienstag vorgelegt hat, zwar ein Fortschritt. Doch die Zustimmung der europamüden Briten hat er damit noch längst nicht gesichert. In den jüngsten Umfragen liegen die EU-Gegner vorne.
Und für Tusk und die gesamte EU bedeutet das Papier einen gewaltigen Rückschritt. Die europäische Integration wird zurückgedreht, die Freizügigkeit eingeschränkt, die Gleichbehandlung aller EU-Staaten ausgehebelt. Aus Angst vor einer Niederlage hat die EU ihre Seele verkauft.
Ob das Anti-Brexit-Paket beim EU-Gipfel Ende Februar wie geplant verabschiedet wird, ist auch kein Selbstläufer. London und Brüssel droht eine neue Krise – als hätten wir davon nicht schon mehr als genug.
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