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Kommentar AkademisierungWissen statt Wahn

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Deutschland ist nicht im „Akademisierungswahn“. Das belegt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Archiviertes Wissen: Innenansicht einer Bibliothek in Potsdam Bild: dpa

W äre der Titel nicht schon vergeben, dann sollte man den Begriff „Akademisierungswahn“ zum Unwort des Jahres küren. Suggeriert er doch etwas, was es so gar nicht gibt. Von einer dramatischen Verschiebung von beruflicher hin zu akademischer Bildung, wie sie der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin düster prophezeit, ist Deutschland genauso weit entfernt wie das Abendland von einer Islamisierung. Das bestätigt der am Montag erschienene Vorabbericht „Bildung auf einen Blick“ der OECD.

Gerade mal 27 Prozent beträgt der Anteil der akademisch gebildeten Mittzwanziger bis Mittdreißiger hierzulande, 2 Prozentpunkte mehr als in der Elterngeneration. Gemessen an anderen Industrieländern gibt es in Deutschland kaum nennenswerte Akademisierungstendenzen.

Das ist sicher auch auf das international gelobte System der dualen Ausbildung zurückzuführen. Doch es gibt keinen Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Oder gar, wie es Nida-Rümelin in der vergangenen Woche tat, die Hochschulen dazu aufzufordern, nichts gegen hohe Studienabbrecherquoten zu tun, auf dass mehr Menschen klar werde, dass ein Studium der falsche Weg für sie sei.

Die duale Ausbildung steckt in der Krise, seit Jahren bieten Betriebe immer weniger Stellen für Lehrlinge an. Und gerade jene Branchen, die besonders laut darüber klagen, keine Bewerber zu finden, garantieren oft ein Leben an der Armutsgrenze.

Längst fordert die Wissensgesellschaft auch die Betriebe heraus: Hilfsarbeiter sind nicht mehr gefragt, sondern Menschen, die nicht nur funktionieren, sondern innovativ sind und in komplexen Zusammenhängen denken können. Eine Aufwertung der beruflichen Bildung ist deshalb in Deutschland im Gange. Zu Recht. Denn auch dafür steht Academia: für Reflexion.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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6 Kommentare

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  • So toll ist das nicht ein Handwerker zu sein.

  • Oh doch - der Akademisierungswahn ist in vollem Gange. Nur weil die OECD Vergleiche anstellt und Deutschland dabei nicht ganz vorne steht, heißt das nicht, daß dieses Land noch mehr akademisch gebildetes Personal braucht. Denn es stellt sich dann irgendwann die Frage: wer macht denn die Arbeit - also die wirkliche Arbeit, die Handarbeit? Noch ist alles im Lot, aber wenn noch mehr Akademiker den Arbeitsmarkt bevölkern, nähern wir uns Zuständen wie in Skandinavien, wo man auf einen guten Handwerker, der irgendwas reparieren oder installieren soll, schon mal ein paar Wochen warten muß. Und auch die Sache mit den Löhnen reguliert sich dann von selbst: knappe Güter neigen in der Marktwirtschaft dazu, teuer zu werden. Auch das läßt sich übrigens in Skandinavien schon sehr gut beobachten. White Collar ist schön und führt zu Erkenntnisgewinn und Entwicklung - aber blue collar sichert die Grundlagen und ist unverzichtbar!

    • @OutbackerAS:

      @Outbackeras

      Handwerkermangel in Sandinavien? Lieber Outbackeras? In Dänemark sind in den letzten Jahren viele Handwerker weggezogen weil es gar nicht so rosig aussah. Auch ist es nicht so das dort jeder Handwerker überdurchschnittlich verdient, in Deutschland scheint es jedoch einen Hass auf Akademiker zu geben. Die ja eh nix gescheites Arbeiten, die eh keiner braucht. Auch studieren eh zuviele und das übliche blablabla.

      Ein Auto oder ein CT lässt sich halt nun mal ohne Physik nicht entwickeln sorry. Warum werden sie den nicht Handwerker in Skandinavien wenn es dort so einen starken Mangel gibt? Gehen Sie doch! Oder ist das genauso verlogen wie der deutsche Handwerkermangel? Den ja so extrem sein muss, das man üble Löhne zahlen kann?

       

      Ja Blue Collar ist wichtig, genauso white collar, beides ist unverzichtbar und sollte gewürdigt werden, aber ständiges uralgequatsche alla Nida Rümelin hilft keinem weiter. Weder Handwerkern noch Akademikern,

      • @jan müller:

        Schön, daß wir uns in Bezug auf die Notwendigkeit aller Berufsgruppen einig sind. Im Übrigen: Dänemark ist das schlechteste Beispiel in Skandinavien, aber bitte mal in Finnland und Norwegen umsehen. Warum ich nicht Handwerker in Norwegen werde? Ich bin zu untalentiert und zu faul.

  • Auch alles Wissen der Welt kann keinen Fortschritt bringen, solange solche "Wissenden" nicht wissen, wie man Wissen auf brauchbare Weise anwendet. Und selbst, wenn auch noch dieses Wissen vorhanden ist, wird es ohne den geeigneten Charakter nutzlos oder sogar schädlich. Dies zeigt an, daß Bildung eine Hirarchie erfodert, und die reale Welt beweist täglich neu, daß ausgerechnet die "Wissenden" meinen, daß der erste notwendige Schritt, nämlich die Formung des Charakters, verzichtbar sei.

     

    Weiterhin hat Wissen und der Umgang mit solchem auch eine Menge mit Glauben zu tun. Solange alle nur glauben "es wird schon gutgehen", wird Wissen allenfalls sicherstellen, daß es auf jeden Fall schief geht.

  • Was plan as plan can be war - ja Danke;

     

    aber der Oberhammer dieses Herrn Geschmäckler -

    war mit Verlaub Frau Lehmann -

     

    EINGANGSPRÜFUNGEN PRO STUDIENGANG -

     

    Und das - sorry - wollen wir unserem Herrn SPezialDemokraten mal

    für den Rest seiner weiteren Wortmeldungen nicht vergessen -

    Versprochen -

     

    Als selber eher mit Bildungskapital im Sinne von Bourdieu gesegnet -

    finde ich es weiterhin eine bodenlose Dreistigkeit -

    wie hier ein Bildungspriviligierter -

    die längst - spätestens seit Albert Einstein - ad absurdum, geführte

    Bildungsselektion qua Gymnasien etc zugunsten der

    ohnehin privilierten few bis in die

    Hochschulen und Unis hinein fortzustricken sucht;

    ein Schandfleck sondersgleichen für die ohnehin

    auf den Hund gekommene Sozialdemokratie.