Kommentar Akademisierung: Wissen statt Wahn
Deutschland ist nicht im „Akademisierungswahn“. Das belegt eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
W äre der Titel nicht schon vergeben, dann sollte man den Begriff „Akademisierungswahn“ zum Unwort des Jahres küren. Suggeriert er doch etwas, was es so gar nicht gibt. Von einer dramatischen Verschiebung von beruflicher hin zu akademischer Bildung, wie sie der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin düster prophezeit, ist Deutschland genauso weit entfernt wie das Abendland von einer Islamisierung. Das bestätigt der am Montag erschienene Vorabbericht „Bildung auf einen Blick“ der OECD.
Gerade mal 27 Prozent beträgt der Anteil der akademisch gebildeten Mittzwanziger bis Mittdreißiger hierzulande, 2 Prozentpunkte mehr als in der Elterngeneration. Gemessen an anderen Industrieländern gibt es in Deutschland kaum nennenswerte Akademisierungstendenzen.
Das ist sicher auch auf das international gelobte System der dualen Ausbildung zurückzuführen. Doch es gibt keinen Grund, sich beruhigt zurückzulehnen. Oder gar, wie es Nida-Rümelin in der vergangenen Woche tat, die Hochschulen dazu aufzufordern, nichts gegen hohe Studienabbrecherquoten zu tun, auf dass mehr Menschen klar werde, dass ein Studium der falsche Weg für sie sei.
Die duale Ausbildung steckt in der Krise, seit Jahren bieten Betriebe immer weniger Stellen für Lehrlinge an. Und gerade jene Branchen, die besonders laut darüber klagen, keine Bewerber zu finden, garantieren oft ein Leben an der Armutsgrenze.
Längst fordert die Wissensgesellschaft auch die Betriebe heraus: Hilfsarbeiter sind nicht mehr gefragt, sondern Menschen, die nicht nur funktionieren, sondern innovativ sind und in komplexen Zusammenhängen denken können. Eine Aufwertung der beruflichen Bildung ist deshalb in Deutschland im Gange. Zu Recht. Denn auch dafür steht Academia: für Reflexion.
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