Kommentar Afghanistan: Rückfall ins Chaos
Die Absage der Stichwahlen in Afghanistan war unter den gegebenen Bedingungen die einzig vernünftige Lösung. Denn eine wirkliche "Wahl" hatten die Afghanen ohne Gegenkandidaten ohnehin nicht.
Die Absage der Stichwahlen in Afghanistan war unter den gegebenen Bedingungen die einzig vernünftige Lösung. Das Wort "Wahl" bedeutet schließlich, dass man auch eine solche hat, und das war nach der Absage des zweiten Kandidaten Abdullah nicht mehr der Fall. Doch diese Einsicht macht die Lage im Land um nichts besser.
Das Chaos der vergangenen Wochen zeigt vielmehr, in welchem Maße den entscheidenden internationalen Akteuren, namentlich den USA und den Vereinten Nationen (UNO), die Kontrolle in Afghanistan entglitten ist.
Der erste schwere Fehler - nach vielen anderen im Vorfeld der Wahlen - war, Amtsinhaber Hamid Karsai in eine Stichwahl zu zwingen. Denn es war von vornherein klar, dass nichts und niemand die Sicherheit dieser zweiten Wahlrunde würde garantieren können.
Diese Steilvorlage haben die Taliban denn auch - strategisch klug wie immer - sofort zu einem vernichtenden Attentat gegen die UNO genutzt.
Seit diesem Anschlag in Kabul war im Grunde klar, dass die Vereinten Nationen zur Organisation des Wahlprozesses nicht mehr zur Verfügung stehen. Mitarbeiter berichteten in den letzten Tagen, dass keinerlei Vorbereitungen zu dem für den 7. November geplanten Urnengang getroffen wurden.
Abdullahs Rückzug ermöglicht daher wohl eher der UNO, das Gesicht zu wahren, als ihm selbst. Und die USA? Haben Karsai Schritt für Schritt demontiert, ohne zu wissen, gegen wen sie ihn eintauschen sollen, und beklagen sich nun, dass es keine glaubwürdige Regierung gibt. Dabei weiß jeder, der Afghanistan nur ein bisschen kennt, dass der Tadschike Abdullah dort ebenso wenig präsidiabel ist wie Micky Maus. Ein noch größeres Desaster ist eigentlich kaum vorstellbar.
Verschwörungstheoretiker glauben schon jetzt, dass so viel Dummheit gar nicht möglich ist und dass dies alles nur inszeniert wurde, um endlich eine große Ratsversammlung (Loja Dschirga) abzuhalten, bei der dann endlich die Taliban in die Regierung geholt werden und die USA sich langsam vom Hindukusch zurückziehen können. Was immer die Wahrheit ist - es bleibt jetzt gar nichts anderes mehr übrig als die Loja Dschirga, um eine legitime Regierung zu produzieren. Acht Jahre nach der Vertreibung der Taliban ist Afghanistan politisch damit wieder am Punkt null.
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