Kommentar AfD und alternatives Milieu: In der Schweiz ist Weidel grün-links
Alice Weidel hat eine aus Syrien geflüchtete Putzfrau, so der aktuelle Skandal. Tatsächlich hat sie noch viel mehr Kontakt zur alternativen Szene.
W er den Mund spitzt, muss auch flöten können: So heißt das in norddeutschem Idiom, wenn jemand nach oben will und dort Durchhaltevermögen beweisen muss. Alice Weidel, die Spitzenkandidatin der AfD, hätte wenigstens ahnen können, dass auch ihr Privates ermittelt werden kann, ehe sie den prominenten Posten bekleidete, den ja eigentlich Frauke Petry für sich beansprucht. Jedenfalls wusste das Publikum, also wir, schon vor Erscheinen der aktuellen Ausgabe der Zeit, dass sie überwiegend in der Schweiz zu Hause ist und dort mit ihrer Frau eine Familie hat.
Das Zeitungsstück, das die Person Weidels skandalisiert, kreist um die – vonseiten Weidels nicht dementierte – Tatsache, dass die Politikerin und ihre Frau am Wohnort Biel, Schweiz, eine Asylbewerberin als Putzfrau („Freundin“) beschäftig-(t)en. Aber ausgerechnet das soll ein Anlass sein, Alice Weidel politisch zu erledigen?
Grund zur Aufregung ist nicht, dass Weidel Personen bezahlt, die sie, so lernten wir, kategoriell politisch ablehnt, Personen ohne deutschen (oder schweizerischen) Pass, Flüchtlinge und Migranten. Letzteres wussten wir – und das ist ein Grund, sie und ihre Partei nicht zu wählen. Irritieren sollte uns vielmehr, dass Weidel und ihre Frau zur, im weitesten Sinne, grünalternativlibertären Szene von Biel zählen. In dieser – wie in unserer – Szene gibt es große Verstörung ob der Denkweisen Weidels.
Wir als solide Die-Welt-soll-besser-werden-Menschen müssen nun lernen: Die Kultur, die die AfD politisch zu beleben sucht, eine rassistische, vor allem aber elitäre, ist auch unter Grünalternativen zu Hause – und diese Weltanschauung, ja, die Klassenlage als mittelschichtsorientierte, antiproletarische Ökos deutet auf eine gewisse Affinität zu Exklusionswünschen (gegen den migrantischen Pöbel, ironisch gesagt) hin.
Wenn sich also Alice Weidel rassistisch äußert und so kenntlich wird als eine Frau, die Einwanderer mit – aus ihrer Sicht – falscher Hautfarbe und misslicher Religion verabscheut, muss das keine Überraschung sein, nur weil sie lesbisch verheiratete Mutter ist und auf ein geschmackvolles Leben setzt. Insofern ist die Personalie ihrer Putzhilfe kein Widerspruch. Ein oft verhohlener Elitismus ist ja in grünalternativen Kreisen durchaus üblich: Hier anschlussfähig zu sein, muss nicht Alice Weidel zum Grübeln bringen – sondern jenes Milieu, in dem sie gern lebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?