Kommentar Ägypten: Uniform beißt Internet
Ägyptens Militär geht vermehrt gegen Meinungsfreiheit und unliebsame Stimmen vor. Das alles zeigt, wie unsicher und politisch unerfahren es ist.
D iese Verhaftung könnte sich als Eigentor erweisen: 15 Tage lang soll der prominente ägyptische Blogger Alaa Abdel Fattah in U-Haft sitzen, weil seine Darstellung der blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Militärpolizei am 9. Oktober nicht nach dem Geschmack der Armee war.
Alaa ist nicht irgendein kleiner Blogger. Die Nachricht von seiner Verhaftung verbreitete sich im Internet in Windeseile. Auf Twitter war "#freealaa" binnen Stunden das weltweit fünftmeist angeklickte Schlagwort. Offenbar meinen weltweit viele: Eigentlich gehört nicht der Blogger an den Pranger - sondern die Armeeführung Ägyptens.
Mehr als zehn Monate nach dem Sturz von Diktator Husni Mubarak und nur vier Wochen vor den Parlamentswahlen steht die ägyptische Revolution auf dem Prüfstand. Der Grund: Das Militär, einst der Puffer zwischen Regime und Revolutionären, hat sich als denkbar schlechter Verwalter des Landes erwiesen. Es hat durch Unentschlossenheit und falsche Entscheidungen seinen ursprünglich guten Ruf ruiniert. Und es wurde selbst zum Teil der Auseinandersetzungen auf der Straße - etwa am 9. Oktober.
ist Nahostkorrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Kairo.
Zudem hat die Armee den Ausnahmezustand immer noch nicht aufgehoben. Und sie hat die Militärgerichtsbarkeit zur traurigen Norm gemacht. Nun geht sie vermehrt gegen Meinungsfreiheit und unliebsame Stimmen vor. Das alles zeigt weniger, wie fest das Militär im Sattel sitzt, sondern wie unsicher und politisch unerfahren es ist.
Sich selbst erweist Ägyptens Armee dabei keinen Dienst. Denn mit jedem Tag, an dem sich das Militär in die Tagespolitik einmischt, wird es als Institution mehr hinterfragt, nicht zuletzt im Internet. Genau dort also, wo der Aufstand gegen Mubarak begann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr