Kommentar Abschiebeheime in Afrika: Marokko ist nur der Anfang
Mit dem Plan, straffällig gewordene Jugendliche abzuschieben, soll ein Präzedenzfall geschaffen werden. Das ist Abwälzen von Verantwortung.
U nbegleitete Minderjährige werden aus Deutschland derzeit nur extrem selten abgeschoben. Und das aus guten Gründen: Sie haben Anspruch auf besonderen Schutz und Achtung ihrer Rechte. Entwurzelung, Elternlosigkeit, Sprachprobleme, Gewalt, Armut – junge Flüchtlinge befinden sich in Lebenslagen, die durchzustehen schon die meisten Erwachsenen überfordert. Daraus erwächst ihnen gegenüber die Pflicht zur Fürsorge.
Deutschland hat sich in diesen Fragen in der Vergangenheit nicht rühmlich hervorgetan. Die UN-Kinderrechtskonvention hatte es 1992 nur unter Vorbehalt ratifiziert: Bei Asylverfahren sollten die Kinderrechte ausdrücklich nicht gelten – so konnten Flüchtlinge schon ab 16 Jahren wie Erwachsene behandelt und in Abschiebehaft genommen werden. Erst 2010 beendete die Bundesregierung diese Praxis.
Jetzt will sie in Nordafrika Heime bauen und betreiben lassen, um Minderjährige ohne Eltern dorthin abschieben zu können – Straftäter und „Freiwillige“. Doch wer in jungen Jahren Gesetze bricht, hat Anspruch auf Hilfe, einen besseren Weg einzuschlagen. Das ist der zentrale Gedanke des Jugendstrafrechts. Und den kann man nicht auf irgendwelche NGOs in Marokko abwälzen.
Es ist ohne Frage sinnvoll, für die, die wirklich zurückwollen, Hilfsangebote zu schaffen. Doch dass es darum nicht wirklich geht, zeigt ein Blick auf die Balkanstaaten: Anders als nach Marokko werden dorthin seit Jahren im großen Stil Roma-Familien mit in Deutschland aufgewachsenen Kindern zurückgeschickt. Ihnen hilft niemand, denn sie kann Deutschland auch so abschieben.
Die neue, deutsch-schwedische Offensive zur Entfernung junger Marokkaner soll zweifellos einen Präzedenzfall schaffen. An den seit Silvester in Köln schlecht beleumundeten Nordafrikanern wollen die Innenminister testen, wie weit sie die Rechte junger Flüchtlinge wieder abbauen können.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn