Komische Oper zeigt „Sweeney Todd“: The Bloody Horror Opera Show
Lakonisch und mit schwarzem Humor: Zur gruseligsten Jahreszeit bringt die Komische Oper „Sweeney Todd“ im Berliner Schillertheater auf die Bühne.
Ein markerschütterndes Kreischen in höchsten Frequenzen fährt als akustische Schockwelle durch den Saal, als sich der Vorhang hebt. Der ganze Horror, der da kommen wird, liegt schon in diesem nicht menschlich klingenden Soundeffekt, der sich noch mehrmals wiederholen wird (aber ja, man gewöhnt sich ja immer an fast alles). Zur gruseligsten Jahreszeit bringt die Komische Oper mit Stephen Sondheims „Sweeney Todd“ ein wahrhaft schauerliches Werk auf die Bühne des Schillertheaters, in dem viel Theaterblut zum Einsatz kommt.
Auf die Untaten des „Demon Barber of Fleet Street“ stimmt gleich zu Beginn der Chor ein, der in diesem Stück in einer Mischung aus antikem Dramenchor und Moritatengesang die Handlung kommentierend begleiten wird. Der Chor der Komischen Oper klingt dabei nicht nur so, als habe er zeitlebens nie etwas anderes als amerikanische Musicals gesungen, sondern zeigt sich auch in tänzerischer Hinsicht enorm engagiert und ausdrucksstark. Und überhaupt wirken alle Beteiligten an diesem Abend so, als hätten sie ausgesprochen viel Spaß an dem, was sie da auf der Bühne tun.
Der mordende Barbier Sweeney Todd, eine fiktive Figur aus einem englischen Schauerroman des 19. Jahrhunderts, ist vielfach als Bühnenfigur und auch für den Film adaptiert worden. Sondheims Musical, nach einer vorhandenen Dramenvorlage entstanden, hatte 1979 Premiere am Broadway und wurde schließlich vor allem durch Tim Burtons Verfilmung von 2008 (mit einem singenden Johnny Depp als Serienkiller) sehr bekannt.
„Ich habe die Oper nie gemocht und nie verstanden“, wird der Komponist im Programmheft der Komischen Oper zitiert. „Die meisten Opern ergeben für mich keinen theatralischen Sinn.“ Sondheim (1930–2021), der in den fünfziger Jahren die Songtexte für Leonard Bernsteins West Side Story schrieb, hatte eine echte Doppelbegabung und schrieb zu etlichen seiner Musicals auch das Skript. Von Dramaturgie verstand er viel. Er mag sich mal in der Oper gelangweilt haben; aber zweifellos ist sein „Sweeney Todd“ ein an operngerechten Abläufen geschultes Gesamtkunstwerk.
Mit dem Rasiermesser auf Rachefeldzug
Sondheim arbeitet durchweg mit Leitmotiven, integriert die Gesangsnummern bruchlos in die Handlung und lässt gesprochene Dialoge sehr oft fast unmerklich gleitend in Gesang übergehen. Sowieso wird überwiegend gesungen. Sondheim selbst soll sein Werk einmal als „schwarze Operette“ bezeichnet haben.
„Sweeney Todd“ läuft wieder am 21., 24. und 28. November an der Komischen Oper im Schillertheater
„Schwarz“ ist in „Sweeney Todd“ auch der Humor, der sicher nicht unbedingt in der ursprünglichen Schauergeschichte angelegt war. (Die Songtexte von Hugh Wheeler sprühen vor englischem Wortwitz, der dank zweisprachiger Übertitel auch für weniger Fremdsprachenaffine nachvollziehbar gemacht wird.) Tatsächlich ist das Schicksal der Hauptfigur zunächst einmal tragisch: Durch die Intrige eines einflussreichen Richters ist der Barbier Benjamin Barker einst ungerecht verurteilt und verbannt worden.
Die schöne junge Frau des Barbiers wird vom Richter vergewaltigt und verstoßen. Die kleine Tochter des Paars nimmt er als Mündel bei sich auf; doch als das Mädchen erwachsen wird, beginnen ihre körperlichen Reize ihn zu erregen …
Als der unglückliche Barbier nach fünfzehn Jahren unter dem Namen Sweeney Todd nach London zurückkehrt, erfährt er vom Schicksal seiner kleinen Familie durch die Pastetenverkäuferin Nellie Lovett, die ihn allerdings glauben lässt, seine Frau sei tot; denn Mrs. Lovett selbst war schon immer in den Barbier verliebt. Mit dem Rasiermesser beginnt Sweeney einen Rachefeldzug, der sehr bald in einen regelrechten Blutrausch ausartet.
Auch das Pastetengeschäft von Nellie Lovett profitiert von dem reichlich anfallenden Frischfleisch… Mrs. Lovett, eigentlich eine Cockney-Figur, wie sie im sprichwörtlichen Buche steht, wird gegeben von der erstaunlichen Dagmar Manzel, die ihren umfangreichen englischsprachigen Part souverän bewältigt und auch mal „poy“ statt „pie“ sagt; aber das verschroben komische Potenzial dieser Figur hätte sie vermutlich noch mehr zum Funkeln bringen können, wenn ihre Zunge nicht mit dem fremdsprachigen Handicap beschäftigt wäre.
Christopher Purves als Sweeney Todd bringt sängerisch einen oft herrlich gruseligen, offensiv sonoren Bass und darstellerisch eine recht statuarische Hauptfigur auf die Bühne. Viele schöne Auftritte haben die Nebenfiguren: James Kryshak brilliert als intrigierender Büttel Beamford und Ivan Turšić als Barbier Adolfo Pirelli, Alma Sadé verleiht ihrem Sopran jugendliche Teenager-Unschuld und Tom Schimon geht ans Herz als naiver Waisenjunge.
Es ist, alles in allem, eine tolle Ensembleleistung (das Orchester unter James Gaffigan eingeschlossen). Und Koskys Inszenierung trifft, kongenial zur Vorlage, einen genau richtig lakonischen Ton, dessen schwarzer Humor nicht zum einfältigen Lustgruseln einlädt. Noch im Lachen ist das Erschrecken über das Lachen hier allzeit mit eingepreist. Das wirkt ziemlich brechtisch gedacht und ist womöglich auch genau so gewollt. Und doch hat mensch sich drei Stunden lang köstlich amüsiert.
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