Kolumne: Schrauben, schwitzen, Bier trinken
Männlichkeitsgefühle unter dem Rad.
Endlich habe ich ein Rennrad gekauft. Nach sechs Monaten Intensivrecherche in den Ebay-Kleinanzeigen habe ich es gefunden. Schwarz, leicht, elegant. Es waren sechs Monate voller Pein – vor allem für L. Er musste sich ständig schlechte Handybilder von Rädern im Netz anschauen, sich meine tausend Fragen anhören und vor allem zu Probefahrten mitkommen. Das erste Treffen mit einem Verkäufer hat ihn dann nachhaltig traumatisiert. Verabredung am Kottbusser Tor. Vor dem Kaiser’s. Bekiffter Typ fährt mit dem Rad vor. Rad sieht scheiße aus. Offensichtlich geklaut. Ich habe es nicht gekauft. Die Rahmenhöhe war zu niedrig. Vier Monate später fand ich dann endlich mein Fahrrad.
Und wie immer mit Dingen, die ich lange wollte, bin ich besessen davon – was für L. offensichtlich noch schlimmer ist. Ich bewege mich nur noch radelnd fort. Und fange an, am Rad rumzubasteln. Dabei beschleicht mich ein Männlichkeitsgefühl. Das müssen Kerle empfinden, die an ihren Autos gemeinsam rumschrauben, dabei schwitzen und Bier trinken. Ein klar schwul konnotierter Akt – zumindest in meinem Kopf.
Weil die Bremsen am Rad ausgetauscht werden müssen, treffe ich mich mit einem Kumpel. Danach packt mich das Fieber. Ich bestelle das Buch „Die Rennrad-Werkstatt für Profis“ von Dirk Zedler und Thomas Musch. Darin lese ich: „Fett ist nicht gleich Fett.“ Eine Übersicht verrät mir, ob ich Sprüh- oder Montagefett verwenden soll und wie oft. Den Unterschied kenne ich immer noch nicht. Ich lege das Buch zur Seite. Zu anstrengend. Schließlich habe ich selbst die Bremsen an meinem Fahrrad gewechselt, damit gebe ich immer noch an.
Ich treffe mich mit F. in Kreuzberg. Wir radeln Richtung Moritzplatz. Nach fünf Minuten schreit sie mir hinterher: „Du bist so Neukölln.“ Ich: „Hä?“ Sie: „Bürgersteig hoch, Bürgersteig runter.“ Ich finde das beleidigend, gar unverschämt. Als ich wieder zu Hause bin, rufe ich B. an. Sie wohnt schließlich im Schillerkiez. Keine Antwort. Offenbar bin ich doch auch einer dieser Neukölln-Gentrifizierer, wegen denen Biosupermarktketten aufmachen. Ich hätte mir ein Moped kaufen sollen.
Szenenwechsel. L. und ich gehen zur Philharmonie. Cameron Carpenter spielt dort Orgel. Vor dem von Hans Scharoun gebauten Gebäude stehen Menschen. Die meisten sehen so aus, als ob sie vor dem Ficken 3000 oder dem Berghain anstehen würden. Das liegt an Carpenter selbst, der sich als „queerer Künstler“ versteht und dementsprechend auch das dazugehörige Publikum anzieht. Und weil er gegen jegliche Konventionen ist, tritt er auch in Unterhemd, Glitzerabsatzschuhen und schwarzen Leggings auf. Carpenter spielt virtuos – ohne Noten und mit Verve. Das scheint die eine Hälfte des Publikums zu goutieren.
Die andere wiederum nutzt die Konzerthalle als Cruisingort. So wie die zwei jungen Männer vor uns – Modell Langweiler ohne klaren Haarschnitt, dafür aber mit zu großen Taschen. Sie haben die schwule Dating-App Grindr auf ihren iPhones geöffnet. Und schauen sich Schwanzbilder darauf an. Ich hingegen betrachte auf meinem Telefon Fotos meines Rennrads.
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