piwik no script img

Kolumne nebensachen aus buenos airesPizza als Inflationsindikator

Ugis Große Mozzarella ist ein zuverlässiger Inflationsindikator

Ugis Große Mozzarella-Steinofenpizza kostet jetzt 10 Pesos. 10 Pesos. Zweistellig! Ein Alarmsignal. Seit den Zeiten der argentinischen Hyperinflation im vergangenen Jahrhundert hat es das nicht mehr gegeben. Ugis Pizzapreis ist Argentiniens Gradmesser für die internationale Geldwertstabilität und die Kaufkraft des Peso und ein Vorbote großer Umwälzungen im Land. "Ugis Grande Pizza de Muzzarella a la Piedra" sind durchgemessene dreißig kross gebackene Zentimeter Teig. Dünn bestrichen mit Tomatenpüree, aber doch ordentlich mit Mozzarella belegt. Manche sagen, das sei gar keine Pizza oder höchstens eine Arme-Leute-Pizza. Mag stimmen oder nicht - in der Imbisswüste Buenos Aires hat Ugi durchgehend geöffnet, und ich bin Stammgast. Im Oktober 2001 kostete Ugis Große Mozzarella 2,19 Pesos. Einen Monat später sank der Preis auf 1,79. Plastischer kann sich Deflation nicht ausdrücken. Damals war der Peso eins zu eins an den US-Dollar gebunden. Mit Wirtschaft und Konsum ging es abwärts, und knapp sechs Wochen später jagte das Volk den Präsidenten aus dem Amt. 2002 wurde die Dollarbindung aufgehoben, Ugis Pizza schnellte auf über 4 Pesos hoch.

Die Schlichtheit von Ugis Großer Mozzarella harmoniert kongenial mit dem Interieur der zahlreich in der Stadt zu findenden Lokale, die ihre Gäste mit dem Charme einer Notaufnahme empfängt. Weiß gekachelte Wände durchzogen mit einer Reihe knallroter Biberschwanzkacheln. Metallrohrstühle bieten in dem transparenten Ambiente einen freien Ausblick auf das Pizzabacken. Die sanitären Einrichtungen sind meist Kosten sparend ausgelagert, ein McDonalds ist bestimmt in der Nähe.

In der Ära von Präsident Néstor Kirchner (2003-2007) notierte Ugis Pizza zwischen 4 und 5 Pesos. Im September 2005, vor den Parlamentswahlen, fiel der Preis von 4,40 auf 3,99: "Somos Argentinos, estamos con el K (Wir sind Argentinier aufseiten des K), ab sofort 3,99", verkündeten Plakate in den Lokalen. Die politische Opposition muss noch interveniert haben, denn schon wenige Tage später war das K überklebt. Das hat ihr aber auch nicht geholfen, die Kirchner-Partei war der klare Wahlsieger.

Wer in Buenos Aires Euro oder Dollar in der Tasche hat, sollte nicht nur nach den Umtauschkursen in den Wechselstuben schauen, sondern immer auch die Preisentwicklung bei Ugis Großer Mozzarella im Auge behalten. Ugi ist leicht zu finden. Ein Lokal ist im Zentrum, schräg gegenüber vom Obelisken an der Avenida 9 de Julio. Einfach Ausschau halten nach Weiß mit knallroten Biberschwänzen. Die Kursnotierung hängt im Fenster.

Trotz der offiziell niedrigen Inflationsrate von jährlich rund 10 Prozent war der Preis der Großen Mozzarella schon vor Beginn der Amtszeit von Präsidentin Cristina Kirchner kräftig nach oben geklettert. Für die Experten war das keine Überraschung, denn die Regierung hatte vor einem Jahr begonnen, die Inflationsrate nach unten zu manipulieren. Preisanalysten gehen von 25 Prozent oder mehr aus. Ugis Große Mozzarella beweist es: Ende 2007 kostete sie noch 8 Pesos. JÜRGEN VOGT

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!