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Kolumne Zu Hause bei FremdenEs wäre ungemütlich geworden

Kolumne
von Miguel Szymanski

Unser Autor war von der Bertelsmann Stiftung zu einem Kamingespräch mit Wolfgang Schäuble eingeladen worden. Hier begründet er seine Absage.

Wegsehen, Wegdenken, Wegführen: Wolfgang Schäuble am Montag in Brüssel. Bild: ap

S ehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

bitte entschuldigen Sie meine Abwesenheit heute abend in der Repräsentanz der Bertelsmann Stiftung, die mich zu einem „Kamingespräch“ mit Ihnen und Ihrer Finanzministerin für Portugal eingeladen hat.

Im letzten Moment habe ich mich entschieden, nicht nach Berlin zu kommen. Ich möchte, dass es eine ruhige „Armchair Discussion“ am Kamin wird, wie es auf der Einladung der Bertelsmann Stiftung steht. Dies wäre nicht gewährleistet, wenn ich auch käme.

Wissen Sie, wegen Ihrer Politik, die Ihre Finanzministerin genauestens befolgt, musste ich mit meiner Familie mein Land vor 18 Monaten verlassen. Jeden Tag sehne ich mich zurück nach Familie und Freunden. Außer mir mussten in den letzten vier Jahren 400.000 weitere Menschen Portugal verlassen, um der Verelendung und Armut zu entkommen.

Ihre Finanzministerin in Lissabon kündigte diese Woche an, 14 Milliarden Euro der Staatsschulden Portugals vorzeitig tilgen zu wollen. Das wird auch eines der großen Themen des Abends am Kamin sein. Sie und Ihre Finanzministerin für Portugal werden stolz sein. Dann haben Sie und Ihre Klassenbeste es den Griechen gezeigt, was regieren heißt. Regieren am Willen, an Wahlen und am Wohlergehen der Menschen vorbei, wenn Ihr Verständnis von Volkswirtschaft es so diktiert.

Auch wenn Anstand und Intellekt Ihnen von allen Seiten sagen, dass Ihre Wahrheit kurzsichtig ist: Was könnte ich Ihnen schon sagen, was Sie nicht schon wissen? Vom Leid meiner Landsleute erzählen? Von Trümmern und hilflosen alten Menschen? Dafür beherrschen Sie die Kunst des Wegsehens, Wegdenkens und Wegfühlens zu gut.

Jemand wird ein Cognacglas schwenken, jemand den Rauch einer guten Zigarre in den Raum blasen (ich war schon bei einigen Kamingesprächen dabei).

Es sind Illusionen Herr Dr. Schäuble. Sie wissen es. Illusionen, die jeden Tag in Krankenhäusern Menschenleben kosten, wegen denen jeden Tag viele Kinder in meinem Land viel zu wenig zu essen bekommen.Teils sind es Illusionen, teils statistische Manipulationen wie die sinkenden Arbeitslosenzahlen in Portugal und die steigenden Exportzahlen.

Mit diesen 14 Milliarden der „vorzeitigen Tilgung“ Ihrer Musterschülerin, die aus dem Land gepresst wurden (eine viel höhere Summe wurde in den letzten Jahren in marode portugiesische Banken gesteckt, damit diese ihre Kreditschulden an Deutschland weiter bedienen), könnte Portugal allen Menschen, die seit 2011 das Land verlassen mussten, sechs Jahre lang das gesetzliche Mindesteinkommen zahlen.

Ihre Finanzministerin, hat, Ihre Anweisungen befolgend, 400.000 Menschen für eine läppische Summe verkauft. Viele dieser Menschen sind jetzt hier und bereichern Deutschland. In Portugal sterben Menschen wegen Ihrer Politik. Es wäre kein gemütlicher Abend geworden, Herr Dr. Schäuble.

Mit freundlichen Grüßen

Miguel Szymanski

(Journalist / Autor)

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19 Kommentare

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  • Mit Wut im Bauch und Tränen in den Augen gelesen. Von einem Deutschen, in Spanien, dem die verherrschende Version und Politik seines ‘Heimatlandes’ fremd und fremder wird. Quelle NDS

  • "eine viel höhere Summe wurde in den letzten Jahren in marode portugiesische Banken gesteckt, damit diese ihre Kreditschulden an Deutschland weiter bedienen"

     

    Also ich habe von diesem Geld nichts gesehen. Bitte richten Sie Ihre Schuldzuweisungen an die richtigen Adressaten, nämlich die involvierten Banken und deren Aktionäre. Danke!

     

    P.S. Im Übrigen finde ich es armselig, vor einer direkten Konfrontation zu kneifen und statt dessen lieber einen offenen Brief zu schreiben. Aber vielleicht hatten Sie ja auch Angst vor stichhaltigen Gegenargumenten, die Sie nicht so ohne Weiteres hätten widerlegen können.

    • @Izmir Übül:

      P.P.S. In den Südländern sollte man endlich mal zur Kenntnis nehmen, dass die Steuerzahler in den Nettogeberländern von ihren jeweiligen Regierungen genau so über den Tisch gezogen wurden, weil sie ungefragt bürgen müssen (aber vielleicht heißt das ja deshalb auch Steuerbürger).

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Jetzt haben Sie's Herrn Schäuble aber mal so richtig gegeben! Diskutieren kann ja jeder, aber nicht auftauchen, ha! Das muss man sich erst einmal einfallen lassen!

     

    Aber was hätten Sie auch erzählen sollen, was nicht ohnehin schon jeder vernünftige, intelligente Mensch weiss? Dass Portugal eigentlich keine Regierung hat, sondern eine Staffage, die von Schäuble unterwiesen wird?Dass Deutschland, nein, Herr Schäuble an allem Schuld ist, an wirklich allem?

     

    Aber schön, dass Sie das mal irgendwo loswerden konnten.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    Meinen Respekt! Was wäre auch für einen Denker zu gewinnen gewesen bei Leuten, die nur auf der Suche nach Bestätigung sind. Sogenannte „Denkfabriken“ haben mit Denken ungefähr genau so viel gemein wie Jägermeister mit einem Jäger. Solche Leute leiden unter verborgenem Größenwahn.

    Da wäre ein Gespräch mit Ihrem Kollegen Jens Berger allemal ergiebiger:

     

    http://www.taz.de/!101198/

  • Danke - daß hier einem ausgewiesenen Spendenkriminellen - der Stehenden Null - reingerieben wird, was europaweit unter dem Slogan

    "Führung aus der Mitte" - gerade abstreitend ausposaunt von La Tuffa -

    materiell-pecuniär zu verstehen ist -

    Pickelhaubenpolitik made in Germany 2.0 -

    Gut - daß es aufrechte Menschen gibt -

    die das klar benennen und zurückweisen - Chapeau.

     

    Wenn innerhalb von knapp 20 Jahren -

    der Reichtum der Raffke-Few vom 20fachen sich auf das 200-fache gesteigert hat - ist jede Gegenrede zu dieser staatlich sanktionierten!! Ausbeutung der übrigen Bevölkerung eine nicht mehr hinzunehmende

    dreiste Lüge.

    Und Ende im Gelände.

  • Ich verstehe den Frust des Autors und ich bin mit der aktuell angewandten vermeintlichen Lösung in den Krisenländern auch nicht einverstanden.

    Nur um das mal klar zu machen.

     

    Aber was mich in diesen Diskussionen immer wieder stört ist, das keiner darüber redet, wer die Schulden gemacht hat. Wir haben da niemanden gezwungen, sich Geld zu leihen für was auch immer.

    Und anders als im Artikel kolportiert, geht es auch nicht (weder in Portugal noch in Griechenland) um Verbindlichkeiten gegenüber Deutschland, sondern es ging und geht auch weiterhin um Verbindlichkeiten gegenüber den grossen internationalen Investoren. Die hat man im Zuge der angeblichen Eurorettung nämlich rausgekauft, zulasten der Steuerzahler Europas. Wir alle sind die Idioten, die ungefragt als Versicherer von Spekulanten einspringen müssen. Das haben alle Regierungen gleichzeitig verzapft. Damit das Finanzsystem nicht zusammenbricht. Man musste die TooBigToFail Banken deswegen unbedingt retten und hat nichts daraus gelernt. Es gibt immer noch kein Trennbankensystem und es wird auch keins mehr geben. Und statt die Institute dazu zu zwingen, eine gewisse grösse nicht zu überschreiben, hat man zugelassen, das z.B. in Spanien fleissig weiter konsolidiert wird, um jetzt noch grössere Banken zu haben, als vorher schon.

     

    Aber natürlich ist an all dem Elend nur der deutsche Finanzminister schuld. Is klar soweit.

    • @Oliver Kalitowski:

      Dem stimme ich aus vollem Herzen zu. Mich beeindruckt immer wieder, wie Schuldner frech Forderungen stellen, denn das, was gefordert wird, wird auch bei uns nicht von den "dicken Börsen" gezapft, sondern von den steuerzahlenden Schafen.

    • @Oliver Kalitowski:

      @Oliver Kalitowski

      ich glaube Sie haben zu viel Deutsche Propaganda konsumiert, ansonsten empfehle ich Ihnen einmal internationale Ökonomen, und internationale Presse. Aber vielleicht tun Sie das ja täglich, aber Ihre Vorurteile werden natürlich von den Deutschen Medien in der Mehrheit bestätigt.

      Die Verantwortung für diese Entwicklung trägt überwiegend Deutschland, das sich von Beginn der Währungsunion an geweigert hat, die grundlegenden Spielregeln einer solchen Vereinigung zu benennen, anzuerkennen und sich daran zu halten, und das seit Ausbruch der Krise weitgehend kollektiv leugnet, dass die Missachtung dieser Spielregeln die Hauptursache der Krise darstellt. Wenn ein Land Überschüsse zu Lasten anderer Länder als Erfolg in Deutschland verkauft, und nicht erklärt, dass diese Überschüsse nur erreicht werden, wenn sich andere Länder verschulden, diesen Zusammenhang ist Ihnen nicht bekannt oder? Im Übrigen Deutschland hat zweimal einen großen Schuldenschnitt selber bekommen, obwohl das Land für die größten Verbrechen verantwortlich war. Statt Hass, wurde Deutschland von den Gläubigern großzügig geholfen, sonst wäre heute Deutschland noch Entwicklungsland. Lesen Sie mal nach, über die Schuldenabkommen nach dem 1. und 2. Weltkrieg. Man sollte nie vergessen wem dieser Wiederaufstieg zu verdanken war.

    • @Oliver Kalitowski:

      Schuld sind halt immer die anderen. Wussten Sie das nicht?

    • @Oliver Kalitowski:

      "Wir haben da niemanden gezwungen, sich Geld zu leihen für was auch immer."

       

      Ich denke, es geht darum, zu verstehen, dass es dieses "Wir" nicht gibt. Es ist nur eine Schimäre. Die schärfste aller Trennlinien verläuft innerhalb dieses "Wir". Herr Schäuble und z. B. ich, wir sind kein "Wir". Ich glaube, der Autor des Artikels hat das recht schön aufgezeigt.

       

      NB: "Wir " haben auch nicht für viele Milliarden Herr Strucks Freiheit am Hindukusch verteidigt. Und so weiter und so fort ...

      "Wir" verkaufen auch keine Waffen an die Saudis.

      Aber eins stimmt leider: "Wir" (fast) alle kaufen diesen Herrschaften Öl ab.

      Sch...!

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Vor diesem Hintergrund kann man den Griechen nur wünschen, hart zu bleiben. Wieso lässt man dort nicht einige Banken hopps gehen? Die Verantwortlichen Banker gehören in den Knast, die verantwortlichen Politiker ebenso, in Griechenland und auch in der übrigen EU. Es ist unglaublich, dass Eltern ihre Kinder im Waisenhaus abgeben, nur weil sie ihnen nichts (!!) mehr zum Essen geben können. Und unsere Politiker (ja, unsere!!!) beharren auf diesem System. Die Reichen und Superreichen lachen sich halbtot und zahlen nix, hier nicht und anderswo auch nicht. Sieht das keiner??

    • @1714 (Profil gelöscht):

      "Unsere Politker" können in Griechenland genau so viel tun wie Griechenland zulässt. Es sind die griechischen Politiker (auch die aktuellen) die auf diesem System beharren. Was hindert Griechenland an der Einführung einer eigenen Währung und der damit verbundenen Garantie ohne jedwede Einschränkung Herr des eigenen Schicksals zu sein? Ein einseitig verkündeter Schuldenschnitt und auch die Zinszahlungen wären weg.

      Und wieso wird das nicht gemacht? Weil es Griechenland dann noch ein ganzes Stück schlechter gehen würde.

      • @Questor:

        Lesen Sie die Verträge zum Euro!

         

        Ein Austritt ist nicht vorgesehen.

        Dieser Grexit ist ein Hirngespinst, dass nicht durchsetzbar ist. Die Griechen müssten die EU verlassen, wenn sie aus dem Euro wollten. Anders geht das nicht.

        • @Age Krüger:

          Niemand kann Griechenland davon abhalten eine Parallelwährung in Umlauf zu bringen über die die Griechische Regierung absolute Kontrolle hat. Und sie kann (im Inland) auch deren Gültigkeit und einen fixen Wechselkurs vorschreiben. Das ist defacto eine Euro-Abschaffung im Griechischen Raum.

          • @Questor:

            Da bin ich mir nicht sicher, ob das Schaffen einer Parallelwährung in den Verträgen vorgesehen ist.

             

            Haben Sie dazu irgendwelche Quellen?

      • 1G
        1714 (Profil gelöscht)
        @Questor:

        Und wer hat am Elend Griechenlands und Portugals verdient und macht weiter Kasse? Richtig, zuvorderst die Banken. Und wer würde solche risikolosen Profite nicht mehr so einfach einstreichen können, wäre die Situation anders? Richtig, die Banken. Und wer sollte diese Banker kontrollieren und notfalls bremsen? Richtig, die Politiker, auch unsere. Lol !!!

        • @1714 (Profil gelöscht):

          Wie hätten denn unsere Politiker verhindern sollen dass sich Griechenland über alle Maßen verschuldet. Alle Banken der Welt unter deutsche Kontrolle stellen oder doch lieber nur die griechischen Volksvertreter? Ein kleiner Tipp: Es ist eine Fangfrage, beides ist ebenso unmöglich wie falsch. Dennoch bin ich gespannt auf Ihre Antwort :)

          • @Questor:

            Ich könnte mir denken, dass unsere Politiker die freie Entscheidung zumindest hatten, ob sie eine Gemeinschaftswährung mit Staaten einführt, die in der Produktivität weit hinter der BRD liegen oder nicht.

            Dann hätte Griechenland noch die Drachme und hätte auch weniger Kredite erhalten.