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Kolumne ZeitschleifeUnd wieder guckt kein Schwein

Kolumne
von Josef Winkler

Sensationelle Katastrophen-Slapstick-Action! Based on true events.

Bild: taz

Josef Winkler (35) lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.

Jetzt wär schon wieder beinah was passiert. Und ich wünschte ja, jemand hätte zugesehen, es muss nämlich halbwegs elegant ausgesehen haben: so ein Katastrophenkunststück, wie es mit Absicht nur Leute wie Buster Keaton und Jerry Lewis hinkriegen. Solche Dinger, die Leute wie Buster Keaton und Jerry Lewis mit sorgfältig geplanter Absicht durchziehen, auf die muss natürlich unsereins warten, bis sie einem mal zufällig passieren. Und hoffen, dass das dann möglichst verletzungsfrei ausgeht. Und dass jemand zusieht.

Also: Gerade kam ich rein, und um mich, wie es mein Wunsch war, in die Lage zu versetzen, mit der rechten Hand an meinen auszuziehenden Schuhen herumzunesteln, nahm ich die eben angerauchte Selbstgedrehte von der rechten in die linke Hand. Es folgte ein mehr oder weniger graziöses einbeiniges Herumschwanken im Flur, während ich, zwischen Zeige- und Mittelfinger der Linken die schwelende Zigarette haltend, mit meiner nun freien Hand an der über das fußartig ausgeformte untere Ende meines erhobenen rechten Beines gestülpten Lederumhüllung zu ziehen begann.

Der Schuh saß fest, aus dem Ziehen wurde ein Zerren, und ob dieser unerwartet notwendig gewordenen Kraftaufwendung rechts erschlaffte wohl für einen Augenblick - eine vollständig normale motorische Fehlleistung; warten Sie mal, bis Sie Mitte 30 sind - die Hand links. Die Zigarette entglitt meinen Fingern, doch mit einer unwillkürlichen Handbewegung - dabei mit der Rechten weiterhin an meinem Schuh zerrend - fing ich das fallende Rauchwerk zu meinem Erstaunen aus der Luft auf.

Wie nach der kundigen Finte eines Taschenspielers ruhte die Zigarette nun zwischen Mittel- und Ringfinger meiner Linken, und schon führte ich sie zum Mund, um mir zum Lohn meiner Kunstfertigkeit einen Zug zu genehmigen. Genüsslich schlossen sich meine Lippen um den Glimmstengel, und sogleich durchschoss ein stechender Schmerz meine erweiterte Fressenregion, sodass ich heftig erschrak und - immer noch auf einem Bein - durch die Badezimmertür taumelte und mich torkelnd im Duschvorhang verfing.

Just in diesem Moment löste sich endlich der widerspenstige Schuh, an dem meine Rechte weiterhin roboterhaft gezerrt hatte, von meinem Fuß, mit einem Ruck, der mich nun gänzlich aus der Balance warf: Ich stolperte nach vorn, riss, mich dabei hart nach links drehend, den Duschvorhang mit mir und stürzte, in PVC gehüllt und jeglicher Orientierung beraubt um mich schlagend, durch das geöffnete Parterrefenster hinaus in den Hof, wo ich einige Minuten benommen liegen blieb, die rechte Hand in den Schuh gekrallt, während die ausgespuckte Zigarette drinnen im Flur einen sich zügig entfaltenden Schwelbrand in Gang setzte.

Nein, stimmt schon: Das war jetzt geflunkert. Das actionreiche Finale dieser kleinen Episode hat sich so nicht abgespielt. Die Szene endete in Wahrheit damit, dass ich gerade noch bemerkte, dass ich die aufgefangene Zigarette verkehrt herum in der Hand hielt und in der Folge davon absah, sie mir mit dem glühenden Ende voran in den Mund zu stecken. Was mir und den Mietern zwar den ganzen Aufruhr und seine Folgen - was weiß ich, wozu so ein Schwelbrand im Erdgeschoss führen kann? - ersparte, den anekdotischen Wert der Story aber auch empfindlich limitierte. Die wenigsten Knallerstorys beginnen ja mit dem Satz: "Du ahnst nicht, was mir gerade beinahe passiert wäre!"

Aber man kann ja flunkern, wie vorgeführt. Oder es sieht eben jemand zu. Wenn Zuschauer dabei gewesen wären, ich könnte mir vorstellen, ich hätte mir ein Herz gefasst und hätte das Finale durchgezogen wie geschildert. Nur bitte keine Videokamera. Da läuft man dann eine Woche später bei "Deutschlands dümmste Büroheimkehrer", und die übersättigten Glotzer gähnen, dass das ja "gestellt" ist.

Bei dem Weg eine Frage: Haben Sie je mit eigenen Augen und im wahren Leben jemand auf einer Bananenschale ausrutschen sehen? Oder sind Sie selber mal auf einer ausgerutscht? Ich wage nämlich zu behaupten: nein.

Fragen zum Slapstick? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt kennt KLATSCH

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2 Kommentare

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  • OS
    Oskar Sauerteig

    PPS.: Herr W. kann das geschilderte Problem in Zukunft ganz einfach dadurch vermeiden, dass er –was seiner mutmaßlichen grundsätzlichen Lebenseinstellung wahrscheinlich ohnehin am besten ensprechen täte– fürderhin GÄNZLICH DARAUF VERZICHTET, SCHUHE ZU TRAGEN ;-D

     

    Und zu duschen.

  • OS
    Oskar Sauerteig

    Ungeachtet der Frage vorhandener oder mangelnder Fitness kann mir sowas schon allein deswegen nicht passieren, weil ich

    a) seit zehn Jahren nicht mehr rauche,

    b) mir statt eines proletarischen, hochgradig asozialen und ständig versifften DuschVORHANGS den Luxus einer entsprechenden -KABINE aus solidem Hartglas gönne.