piwik no script img

Kolumne WutbürgerPackt das Smartphone weg!

Kai Schächtele
Kolumne
von Kai Schächtele

Einst fotografierten wir, um Momente zu bewahren. Das Wesen der Digitalfotografie ist es, Momente auf alle Ewigkeit zu zerstören.

„Es war kaum noch möglich, das Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen.“ Bild: imago/stephan görlich

E inst war es das Wesen der Fotografie, Momente für die Ewigkeit zu erhalten. Bei der digitalen Fotografie liegt die Sache anders. Zwischen dem Schießen eines Fotos und seinem Verfallsdatum liegt bei den meisten gerade noch die Zeit, die man braucht, um es sich anzusehen und sofort zu löschen.

Lange Zeit war mir das egal. Wenn die Leute die Welt nur noch über einen zigarettenschachtelgroßen Bildschirm wahrnehmen wollen, bitte schön. Inzwischen aber bin ich überzeugt: Das Wesen der Digitalfotografie ist es, Momente auf alle Ewigkeit zu zerstören.

Endgültig klar wurde mir das bei einem Festival, das ich vor Kurzem besuchte. Egal, welche Band gerade auf der Bühne stand: Etwa alle drei Sekunden schnellte ein Smartphone oder eine Digiknipse in die Luft. Ich habe sogar ein paar Tablets gesehen. Es war kaum noch möglich, das Geschehen mit eigenen Augen zu verfolgen.

Kai Schächtele

lebt als Autor und Journalist in Berlin und regt sich gern auf. Das reinigt die Atemwege.

In der sonntaz-Kolumne „Wutbürger“ regen sich regelmäßig Isabell Lott und Kai Schächtele über die hässliche Fratze der Gesellschaft auf.

Doch was soll dabei herauskommen, wenn man im Dunkeln aus zweihundert Metern mit einer Kamera fotografiert, die im Hellen bei zehn Metern schon an ihre Grenzen stößt? Wie man sich am nächsten Tag beim Anblick dieses Breis aus Farben, Licht und schwarzen Flecken an den Vorabend erinnern will, ist mir unbegreiflich. Es ist, als würde man die Musik nachempfinden wollen, indem man einen Text liest, der entsteht, wenn ein Schimpanse im Takt auf der Tastatur tanzt. „Song 2“ von Blur, einer der Bands des Festivals, liest sich dann so: Lmö

taz am Wochenende

Auch noch unentschlossen? Warum der Wahlkampf für Kandidaten und Demoskopen auf der Zielgeraden doch noch richtig spannend wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./22. September 2013 . Mit sechs Seiten wahl.taz. Außerdem: Eine Begegnung mit zwei der mächtigsten Bandidos Deutschlands. Und: Brauchen wir noch Buchläden? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ich kann diese Entwicklung nicht mehr stoppen. Der Fortschritt ist wie ein Sack Flöhe. Einmal entkommen, ist er nicht mehr einzufangen. Ich ziehe deshalb meine Konsequenzen. Beim nächsten Konzertbesuch werde ich mich zu einem Knipser stellen und ihm alle drei Sekunden zuraunen: „Ist das nicht ein ganz, ganz tolles Konzert?“

Ich bin sehr, sehr zuversichtlich: Diesen Abend wird er so schnell nicht vergessen. Und davon haben wir ja beide etwas.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Kai Schächtele
Journalist
Journalist, Buchautor, Moderator. Ärgert sich gern über Dinge, über die er sich gern lustig macht. Arbeitet außerdem als Dozent, weil man sich ja nicht immer nur ärgern kann, sondern auch den Jüngeren erklären muss, warum Journalismus immer noch der schönste Beruf von allen ist.
Themen #Konzert
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • S
    Sebastian

    Jack White, bekannt von u.a. den White Stripes hat bei einem Solo-Konzert in Köln im vergangenen Jahr vorab darum gebeten, die Handys und Klein-Knipsen in der Tasche zu lassen, die anderen nicht damit zu stören und das Konzert in Ruhe zu genießen. Als Grundlage dafür hatte er Fotografen dabei, die auf der Bühne rumliefen und fleißig Impressionen festhielten. Diese Fotos hat er dann nach für alle zur freien Verwendung ins Netz gestellt.

    Und was hat es gebracht? Nichts! NICHTS! Die übliche Meute hat geblitzt und die mit ihren Displays die Halle erhellt. Dufte...

  • R
    Ruhender

    In prädigitaler Zeit durfte man keine Aufnahmegeräte ins Konzert mitnehmen. Mitschnitte waren illegal. Mein Tipp: Kamerahandys und dergleichen am Eingang abnehmen.

    • M
      Mathias
      @Ruhender:

      Wäre schön, aber der Veranstalter könnte seinen Job danach wohl an den Nagel hängen.

      Die Leute wollen diese Knipserei, sie wollen während des Konzerts mit den daheimgebliebenen Freunden telefonieren oder regelmäßig einen "Ich war hier!"-Status auf Facebook posten. Mit Verboten wird man dagegen nicht ankommen und macht sich bloß unbeliebt.

  • D
    DickesB

    Der Artikel spricht mir aus der Seele! Ich war diesen Sommer bei tollstem Wetter abends bei einem der vier SEEED Konzerte in der Wuhlheide. Ich stand ziemlich weit vorne und hatte trotz meiner Körpergröße ständig irgendwelche Smartphones in meinem Blickfeld.

    Das Konzert war super, aber leider bleibt als bleibender Eindruck auch, dass alle anderen nur noch ihre Eindrücke auf einem Smartphone speichern können und nicht mehr im Kopf.

    Und es ist ja soooo wichtig, schnell mal allen "Freunden" zu zeigen, auf welch coolem Konzert man gerade ist.

    Würde es nicht reichen, den besten Freund am nächsten Tag anzurufen, um ihn vom Erlebten zu berichten?

    Muss man immer alles sofort "teilen"?

  • A
    Argento

    Meist geht es bei den Handyknipsern sowieso nur ums eigene Ego -- die Bilder/Videos landen gleich auf Facebook um zu zeigen, wie toll sie es doch hatten, während sie ja eigentlich gänzlich damit beschäftigt waren ein möglichst gutes Bild vom Konzert/Event zu machen ohne währenddessen das Konzert in irgendeinerweise genießen zu können. Schade, dass die Wirklichkeit den Leuten immer mehr abhanden kommt (Kommunikation wird manchmal schon sehr schwer wenn das gegenüber ein Smartphone in der Hand hält!).

  • C
    Chris

    Vielleicht ist mittlerweile das eigene Erlebnis eher sekundär und gute Fotos spielen auch keine Rolle mehr. Und es geht eher darum - pour montrer les autres - es Anderen zu zeigen. Dazu sind die eigenen Repräsentanzen in den sozialen Netzwerken entsprechend zu illustrieren, am besten mit Dokumenten vermeintlich aufregender Erlebnisse. Da könnte beispielsweise gut und gerne ein Festival-Besuch dafür herhalten. Das darf zwecks Doku-Authentizität auch sehr gern etwas verwackelt sein. Das gute Foto? Pah!