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Kolumne Wir retten die WeltDen Lenin-Orden für Decathlon!

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Am „Black Friday“ beginnt die US-Shopping-Orgie vor Weihnachten. Ein Sport-Discounter hält dagegen. Auch wenn er es nicht so meint.

Wer braucht schon einen Speer? Weg mit dem Krempel Foto: dpa

H eute mal ein Geständnis: Ich hasse Shopping, aber ich liebe „Decathlon“. Der französische Sportartikel-Discounter hat viel dafür getan, dass unsere kleine Familie ihre ersten Jahre in Frankreich heil überstanden hat.

Nur dort gab es immer wieder billige neue Fußbälle, wenn die alten verschwanden; nur dort fanden sich immer irgendeine billige Schwimmbrille und ein Schnorchel. Nur von dort kam der Nachschub, wenn unser Ältester alle seine Pfeile mit dem Bogen über die Gartenmauer geschossen hatte. Erkältung, Nieselregen, schlechte Laune? Da half ein Trip in die unendlichen Weiten voller Basketbälle, Tretroller und Hantelbänke. Decathlon ist wie IKEA, nur ohne die blöden Möbel.

Also war ich hellauf begeistert, als der Laden mit dem blau-weißen Schriftzug auch in Berlin aufmachte. Der kapitalistische Wachstumszwang hat auch sein Gutes. Ich streifte durch die endlosen Regale voller Regenhosen, Tennisschläger und Dartscheiben und suchte nach Schienbeinschonern. Die Frau an der Kasse reichte mir dazu eine braune Tragetasche aus Papier. Und darauf stand unten, ganz klein, ein Satz, der mich noch mehr als alle billigen Softfußbälle für den Laden einnahm: „BITTE KAUFEN SIE MICH NUR, WENN SIE ES NICHT VERMEIDEN KÖNNEN“.

„Nur, wenn Sie es nicht vermeiden können!“

Ein unglaubliches Statement. Decathlon – zu deutsch: Zehnkampf – hat damit die Zehn Gebote des nachhaltigen Konsums auf eine zentrale Aussage zusammengestaucht, und das noch in GROSSBUCHSTABEN: „Bitte kaufen Sie mich nur, wenn Sie es nicht vermeiden können.“ Das Produkt fordert mich auf, darüber nachzudenken, ob ich es jetzt auch wirklich dringend brauche – oder ob ich den Krempel nicht lieber im Regal lassen und mit den Kindern Scrabble spielen sollte. Für so viel unaufgeregten und subversiven Antikapitalismus sollte es den Lenin-Orden geben.

Da ist es egal, dass der graue Papierbeutel mit seinem Warnhinweis nur sich selbst meint. Wir nehmen die Aufforderung ernst für alles, was sonst so in die Tüte kommt. Lässt es sich echt nicht vermeiden, diese Tennissocken einzupacken? Hält die alte Regenjacke nicht noch dicht? Brauchen wir wirklich drei Kopflampen, auch wenn sie spottbillig sind?

Protest gegen den Konsumwahn am Black Friday

Und jetzt sollten Sie, liebe LeserInnen, diesen Satz aus der Zeitung ausschneiden, mehrfach groß kopieren und heute in möglichst vielen Läden, Shops und Einkaufszentren an die Regale kleben: „Bitte kaufen Sie mich nur, wenn Sie es nicht vermeiden können!“. Denn Freitag ist weltweit „Buy-Nothing-Day“. Für mich der beste Feiertag gleich nach Pfingsten: Auf der ganzen Welt protestieren Menschen kreativ gegen den Überkonsum, der uns umbringt: Sie zerschneiden Kreditkarten, eröffnen Läden, in denen nichts verkauft wird und schieben als Konsum-Zombies leere Einkaufswagen durch die Supermärkte.

Denn der Tag nach Thanksgiving ist in den USA „Black Friday“, wo Millionen von Kunden die Läden stürmen, um die Kaufrauschsaison vor Weihnachten zu eröffnen. Seit 1992 halten die Anti-Werber der „Adbusters“ aus Vancouver dagegen: Mit einem TV-Spot, in dem ein rülpsendes Schwein die Sünden der Konsumenten anprangert. Und mit der Aufforderung, aus dem Teufelskreis von Konsum, Kredit und Katastrophen auszusteigen. Zumindest für 24 Stunden.

Zehnkampf für die Nachhaltigkeit

Und jetzt ist unser Decathlon Teil dieser Guerilla. All das Geld, das wir im letzten Jahrzehnt dort investiert haben, war gut angelegt. Und mir wird auch die heimliche Botschaft hinter dem Namen klar: Die Königsdisziplin der Leichtathletik steht natürlich für die Anstrengungen im Kampf gegen den Konsumterror, für den wir uns stählen müssen: Da ist der 100-Meter-Sprint, um all den Sonderangeboten und Flatrates zu entgehen; 400 Meter im gestreckten Galopp, damit uns unsere schlechten Gewohnheiten nicht einholen. Und ein lungenzerfetzender nachhaltiger 1500-Meter-Lauf, um unsere guten Vorsätze für Weniger/Langsamer/Bewusster zu erreichen.

Da braucht es konzentrierte 110 Meter über alle Hindernisse, die sich uns verantwortungsvollen Konsumenten in den Weg schieben. Denn es ist ja echt der Hammer, was wir alles möglichst weit wegwerfen müssen: Den Diskus und den Speer, die nun echt keiner mehr braucht. Um das zu schaffen, müssen wir richtig weit und hoch springen. Sonst können wir uns gleich die Kugel geben.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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