Kolumne Wir retten die Welt: Konservative – eine seltene Spezies
Es heißt immer wieder, die Linke sei in der Krise. Mag sein. Aber Konservative gibt es in freier Wildbahn ja praktisch nicht mehr.
D ie entscheidenden Fragen kommen bei uns auf den Tisch, wenn das Essen vorbei ist. „Was ist das eigentlich“, fragt mein zwölfjähriger Sohn, als er nach dem Rest in der Salatschüssel greift, „linke Politik?“
Tja. Eine gute Frage an einen von Spaghetti saturierten Mittelstandsbürger. Ich erzähle was von Gleichheit und Solidarität, von Gerechtigkeit und Chancen für alle. Dass der Staat von den Reichen Steuern erhebt (in der Theorie), um damit …“, sag jetzt nicht Schulen, flüstert mir eine innere Stimme zu … „Sportplätze zu bauen.“ „Also links ist gut, und rechts ist schlecht“, zieht mein Sohn sein Fazit, bevor er beginnt, die Salatsauce aus der Schüssel zu schlürfen.
„Nee“, sage ich. „So einfach ist es auch wieder nicht.“ Und ich versuche ihm zu erklären, was für viele auch jenseits der siebten Klasse schwer zu begreifen scheint: dass konservativ sein keine ansteckende Krankheit ist. Sondern eine ehrbare Gesinnung: dass man gute Gründe dafür haben kann, Traditionen zu bewahren und nicht jeden neuen Quatsch mitzumachen.
Dass man nicht will, dass der Staat sich in alles einmischt. Dass man erst mal auf die Ideen und den Mut des Einzelnen setzt. Und dass man schätzt, was man erbt und verantwortlich ist für das, was man der nächsten Generation hinterlässt.
Und dann gehen ein bisschen die Pferde mit mir durch. „Was die Konservativen in England machen, ist genau das Gegenteil von konservativ“, schimpfe ich, denn letztens war der Brexit bei uns Thema („wozu noch Englisch lernen?“). Ein Land über die Klippe zu schubsen, nur aus parteipolitischer Taktik; danach keinen Plan zu haben, was werden soll; und sich dann als Premierminister, oberster Brexit-Blondie oder Ukip-Einpeitscher einfach so aus dem Staub machen, sorry my dears, das ist schlimmste Freakerei und fremdenfeindliche Verantwortungslosigkeit, der konservative Hochverrat. Was sie so shockingly vernachlässigen: Tugenden kommen vom Tun, Verantwortung von Antworten, im „Bewahren“ des Konservativen steckt das Wahre, nicht die Ware.
In Großbritannien ruinieren Konservative sich und ihr Land
Es heißt ja immer, die Linke sei in der Krise. Mag sein. Aber Konservative gibt es in freier Wildbahn ja praktisch nicht mehr. In Großbritannien ruinieren sie sich und ihr Land in bester Spontitradition; in den USA übergeben sie ihre Partei an einen Egomanen, der gesellschaftspolitisch ein Liberaler, innenpolitisch ein Hetzer, außenpolitisch ein Borderliner und charakterlich unreifer ist als mein Zwölfjähriger.
Und in Europa sind die Konservativen entweder Sozialdemokraten oder Steigbügelhalter für Rechtspopulisten. Oder sie haben sich von den Neoliberalen deren Weltbild aufschwatzen lassen: deregulieren, sparen und mit meinem Steuergeld die Scherben aufsammeln, die die Konzerne hinterlassen.
Es gibt sie ja, bei den bürgerlichen Rechten, aber man hört sie kaum: Leute, denen der soziale Zusammenhalt wichtiger ist als das Lob der Londoner Investmentbanker. Menschen, die sich darum kümmern, wie ökonomische und ökologische Schulden die Zukunft unserer Kinder belasten. Politiker und Unternehmer, mit denen man über Werte streiten kann und nicht nur über DAX-Punkte. Denn eigentlich sind die Ökos ja die traditionellsten Konservativen. Mehr Bewahrung geht gar nicht. „Was wir bräuchten, wären mal wieder ein paar echte Konservative“, sage ich, als mein Sohn wieder aus der Salatschüssel auftaucht.
Er hat sich das geduldig angehört. Jetzt sagt er: „Aha“, und wischt sich den Mund am T-Shirt ab. „Du bist also ein linker Konservativer.“
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