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Kolumne WM im Eishockeyland„Deutschland?“ „Nein, Kanada“

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Halbvoll ist die Sportsbar in Ottawa zum WM-Auftaktspiel. Nicht weil der Gastgeber spielt – das Budweiser kostet heute nur 5 Dollar.

Kanadische Fußball-Fans in Ottawa sehen so aus, wie Fußball-Fans halt so aussehen Foto: Doris Akrap

O ttawa ist das Bonn Kanadas. Es ist die Hauptstadt, hier sitzt die Verwaltung des Landes. Die Party geht woanders. Irgendwie logisch, dass hier ist das deutsche Team stationiert ist und seine ersten beiden Gruppenspiele im Lansdowne Stadium, einem Football-Stadion, absolviert.

Für Sport interessiert man sich hier sehr. Quasi jeder fährt Fahrrad, Kanu oder Schlittschuh. Davon, dass WM ist, ist aber nicht viel zu sehen. Samstag, 16.30 Uhr, vor der Sportsbar „St. Louis“ gibt es noch ausreichend Plätze. Der Amateur-Fußballer Dickey hatte geraten, hierher zu gehen. Hier würden definitiv viele kanadische Fußball-Fans sein.

Ein paar Minuten vor Anpfiff des Eröffnungsspiels Kanada-China taucht plötzlich eine singende Frau in einem Stadion im Fernsehen auf. Kein Vorbericht, keine Einstimmung auf das, was die Kanadier und die Welt in den nächsten Wochen erwartet. Braucht hier offenbar niemand.

Zwei Pärchen, die direkt vor einem Fernseher sitzen, Tacos und riesige Krüge mit süßem Bier vor sich, schauen kurz auf. Mädchen1: „Was ist da los?“ Mädchen 2: „Frauen-WM“. Mädchen1: „Oh“. Mädchen2: „Ja.“ Mädchen1: „Wer spielt?“ Mädchen2: „Die Deutschen glaub ich. Die sind immer ganz gut.“ Die Jungs sagen dazu nichts. Sie wissen es offenbar auch nicht besser. Das Budweiser kostet heute nur 5 Dollar. Das zählt. Deswegen ist man hier.

Der Ton der Fernseher ist sehr leise. Als die Kellnerin gebeten wird, etwas lauter zu drehen, lächelt sie: „Ja, sicher. Sofort.“ Es tut sich aber nichts. Sie wird wieder gefragt. „Ja. Sicher. Sofort.“ Es tut sich immer noch nichts. Nach dem dritten Mal kommt dann tatsächlich etwas Ton. „Ist es das Spiel, das sie sehen wollen?“, fragt sie. „Ja. Sicher. Sofort“. „Deutschland?“. „Nein. Kanada.“ Nach 20 Minuten dreht die Nachbarpizzeria die Boxen auf. Mexikanischer HipHop. Sehr laut. Stören tut das niemanden.

Auch nicht die kleine Gruppe Mittzwanziger, neben einer Gruppe deutscher Journalisten die einzigen Gäste, die hin und wieder mal auf den Fernseher schauen. Einer der jungen Kanadier hat sogar eine stattliche Kanada-Flagge. Er hält sie aber nur zwei Mal kurz hoch. „Uuuuuhhh“, rufen seine Freunde. „Steck das Ding weg“. Ein paar von ihnen tragen Haarreifen mit Ahornblatt-Fähnchen. Die Jungs ein Turin-Shirt, ein Barca-Shirt und ein Götze-Trikot.

Der Mario-Fan ist Adriano, ein rumänischer Einwanderer. „Ich liebe das deutsche Team und FC Bayern“ Auch bei den Frauen? „Natürlich. Die sind doch Weltmeister.“ Äh … ach egal, man muss ja nicht gleich beim ersten Kontakt mit Einheimischen widersprechen und kann auch besser über andere Dinge als über Fußball und Deutschland plaudern. Zum Beispiel, wo hier Party ist.

Keine Sekunde nach Abpfiff des Spiels schaltet Fox News zum Eishockey, zum Stanley-Cup-Finalspiel Chicago Blackhawks gegen Tampa Bay Lightning – der Biergarten füllt sich, die Gäste jubeln, kommentieren, regen sich auf.

En Frauenfußballspiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnt immer die Deutschen? Das Bild scheint in Kanada omnipräsent. Darüber wird zu reden sein. Eine Patriotismusdebatte werden die hier wegen der Frauen-WM aber sicher nicht führen. Bin mir sogar schon fast sicher, dass es so was wie Patriotismus in diesem Land gar nicht gibt. Mal gucken, ob diese Aussage in vier Wochen noch hält.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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3 Kommentare

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  • Wenn das einzige Eishockeyspiel, das man sich in Kanada anschaut, ohne kanadische Beteiligung stattfindet, dürfte man auch einen nicht unerheblichen Bogen um den Kern des dortigen Patriotismus im Sport gemacht haben...

     

    Auch darf man nicht vergessen, dass Fußball in Nordamerika eine völlig andere Rolle spielt als hierzulande. Dort - an Schulen und Colleges - ist es immer noch vielfach vor allem der Sport, den die Mädchen im Herbst-Trimester betreiben, wenn die Jungs Football spielen (die "Coolen" zumindest).

     

    Fußball ist zwar auch bei den Männern im Kommen, wird aber bis auf Weiteres völlig im Schatten von Football stehen, vor allem bei der Fanbasis. Die schaut in aller Regel Football und kann schon rein fachlich nichts mit Fußball anfangen, selbst wenn sie mal über so etwas wie die derzeitigen Übertragungen von der WM stolpert.

     

    Das Ergebnis ist für den Frauenfußball zwar eine ordentliche Spielerbasis, aber eine fast vollständige Abkopplung von der breiten und bis ins Fanatische gehenden Begeisterung, die die "Hauptsportarten" entfachen. Es ist also kein Wunder, dass die echten Fans, die Fußball in Kanada hat, ganz gut in die Stadien passen und nur vereinzelt in Sportsbars auftauchen.

  • Mit dem Patriotismus wäre ich vorsichtig. Die Kanadier sind manchmal die extremeren Amerikaner. Größere Pick-ups größere RVs, noch schlechteres Fast Food, noch dünneres Bier...

     

    Trotzdem ein tolles Land!

  • verkaufen die auch Bier?