piwik no script img

Kolumne VollbartAggression ist durchaus angebracht

Enrico Ippolito
Kolumne
von Enrico Ippolito

Die Kampfszenen im Möbel Olfe sind unerbittlich. Es geht zu wie bei der Reise nach Jerusalem. Dann vielleicht doch lieber auf den Weihnachtsmarkt?

Heute kein Gedrängel: Wegen des Sturms Xaver hat der Weihnachtsmarkt am Berliner Alexanderplatz am Freitag geschlossen. Bild: dpa

Gehen wir auf den Weihnachtsmarkt?“, fragt B. mich. F. schaut sie seltsam an, ich entsetzt. Weihnachtsmarkt? „Auf gar keinen Fall“, antworte ich. Für mich gehen nur Menschen auf den Weihnachtsmarkt, die zu viel Langeweile haben. Allein der Gedanke, auf dem Alexanderplatz Glühwein zu trinken, ruft bei mir Ekel hervor. Außerdem ist es ein Zeichen der vollständigen Integration, und da hört es auf. Stattdessen hänge ich immer an den gleichen Orten rum.

Auf dem Weg zu Möbel Olfe. L. und ich sitzen in der U-Bahn einer Frau gegenüber. Sie spricht uns an. Wir kommen ins Gespräch. Sie fragt: „Wo kommt ihr her?“ L. sagt: „Aus Italien.“ Sie: „Ich liebe Italien. So schön dort. Meine Freundin lebt in Madrid.“ Ich verdrehe die Augen.

Endlich im Möbel Olfe. Am Dienstag ist es entspannter als sonst. Die Bartdichte ist trotzdem relativ hoch. Und Flanellhemd ist auch noch en vogue –fehlt nur noch die Axt in der Hand. Beim zweiten Bier dann die Überraschung: Hinten in der Ecke steht ein Mann und trägt seine Cappy schräg auf dem Kopf – nicht verkehrt herum, sondern so lose im 45-Grad-Winkel. Dass er albern damit aussieht, ist stark untertrieben. Ich sollte aber nicht werten, mit meinem Taliban-Penner-Chic. Schließlich bekomme ich es selbst von allen Seiten ab. Also applaudiere ich ihm innerlich.

Das eigentliche Problem im Möbel Olfe sind auch nicht die modischen Codes, sondern das Spiel „Die Reise nach Jerusalem“. Der Kampf um die wenigen Plätze ist unerbittlich. Ich sitze an der Ecke. Ein Platz neben mir wird frei und sofort gibt eine Frau einen seltsamen Ur-Laut von sich, um dann zu sagen: „Wir haben schon sehr lange auf diesen Platz geschaut.“ Antwort: „Ehm, ja, aber ich saß doch schon auf der Ecke, und wir sind vier Leute. Entschuldige.“ Sie: „Musst ja nicht gleich ausrasten.“ Ich: „Du hast mich noch nicht ausrasten sehen.“

Das Gerangel um Sitzplätze ist hier ein universales Problem. Immer Erster sein wollen – überall. Letztens stand ein älterer Herr vor mir an einer Ampel. Ich wollte über Rot gehen und versuchte, mich an ihm vorbeizumogeln. Er veränderte seine Position jedes Mal so, dass ich nicht vorbeikonnte. „Vielleicht macht man das in deinem Land, aber hier gelten noch Regeln“, sagte er schließlich. Ich antwortete: „Jetzt ist es besser, du würdest die Fresse halten.“ Das entsetzte ihn.

Schließlich hat er ja von diesen bösen Ausländern gelesen, die Menschen einfach so verprügeln. Mit meinem Look könnte ich in seiner Wahrnehmung auch zu so was fähig sein. Vielleicht trage ich ja eine Bombe unter meiner Bomberjacke?

Das Täter-Opfer-Profil ist immer gleich. Es tauscht sich nur aus, wenn die marginalisierte Gruppe jammert. Damit kann der gemeine Deutsche nicht mehr so gut. Das setzt ihn unter Druck. Immer sagen: Das verletzt mich, das tut mir weh, immer Opfer sein, das hilft dem Deutschen. Mir hilft das aber nicht. Und deswegen halte ich Aggression durchaus für angebracht. Wenn du dich wie ein Arschloch verhältst, sag ich es dir. Wirkungsvoll. Für mich.

(Vielleicht gehe ich doch mit auf den Weihnachtsmarkt. Leute anrempeln oder so. Viel lieber würde ich allerdings Schlittschuhlaufen.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Enrico Ippolito
Redakteur bei taz2/medien
Jahrgang 1982, ist seit 2011 bei der taz. Seit November 2012 wirkt er als Redakteur bei tazzwei/medien. Zuvor hat er ein Volontariat bei der taz absolviert.

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • BI
    Blick in den Spiegel

    Zur Ampelszene. Beide sollten lernen. Der ältere Mann: Neuen Spruch überlegen, wie Rotgänger sind Totgänger.

     

    Enrico Ippolito: Rot bedeutet stehenbleiben und: Es gibt viele feste Normen im Leben der BerlinerInnen. Bricht man sie, verwirrt das viele. Aus diesem Grund vorher überlegen, wie man aus der Situation trotzdem stresslos rauskommt.

     

    Eigentlich bräuchte es viel mehr Texte wie diesen von Ihnen. So verstehe ich jedenfalls, wie Probleme der gegenseitigen Integration konkret ablaufen. Dann fällt mir Humor beim nächsten Rotgänger am Halleschen Tor in Kreuzberg leichter. Der mir mit seinen Armen fuchtelnd suggeriert: "Gehen Sie doch! Da kommt kein Auto! Sind Sie blöd?".

     

    Bevor ich ihn vom Sinn der Automatisierung häufig gebrauchter Körpermotorik für Notsituationen zu überzeugen versuche, rufe ich dann doch lieber zurück: "Ciao bello!!! Grazie no! Addio ...!"

  • H
    Hans

    Ich lese die Vollbart-Kolummne wie ich Yücel-Artikel lese: Ein offener Bruch der manchmal ganz interessant und erheitern (machmal auch auf Kosten des Autors) sein kann. Aber Ippolito fehlt dabei der Stil, der den Troll Yücel ausmacht. Herr Ippolito ist einfach nur ein armer unreflektierter Troll, wie er sich in seiner Kolummne darstellt, der zur Kompensation seiner Angst und Unsicherheit im Ungang mit seinen Mitmenschen zur Agression neigt. Wie immer an dieser Stelle meine Empfehlung: Therapie, Agressionsbewältigungstraining oder Buddhismus. :)

    Schönen Tach.

    • @Hans:

      Da würde ich zustimmen. Yücel schreibt manchmal ziemlich extreme Dinge, aber es scheint doch immer wieder durch, dass er auf viele Sachverhalte einen recht differenzierten Blick hat. Intelligenz kann man Yücel wirklich nicht absprechen.

      Dieser "häßlicher-deutscher-Rentner"-Beitrag von Ippolito ist hingegen in seiner Trivialität nur unfreiwillig komisch.

  • ID
    Iss doch so

    Wo der Mann recht hat, hat er recht. In Italien gehen die Leute doch tatsächlich ständig bei Rot :)

    • IG
      Is gar nicht so
      @Iss doch so:

      Regional differenzieren? Ihre Aussage mag auf Neapel und Umgebung zutreffen. Auf Sizilien, im Veneto, in San Marina, auf Sardinien, auf viele andere Regionen in Italien trifft das Vorurteil verkehrschaotischen Menschen in Italien nicht zu!

       

      Besser: Rotgehen nicht mit mediterranem Flair rechtfertigen. Ein lebendiger Journalist ist besser als ein überfahrener Journalist.

    • NC
      Non è cosi
      @Iss doch so:

      Che? Un po più regionale, va bene?! La Lombardia non è S. Marino non è la Campania non è assolutamente la Sicilia! Turista!

       

      Per Napoli, sì vale.

  • D
    DDR-Bürgerin

    Wen man Vorurteile bestätigt haben möchte bekommt man es mit dieser Geschichte.

    Könnte der ältere Herr nicht einfach Recht haben? Bei Rot geht man nicht über die Straße und die meisten Deutschen ätte es einfach ruhig und weniger vulgär.

    Nun ja, ich hätte es gerne so.

  • G
    Gabi

    Lese ich das richtig? Sind Sie im Sinne von Kampfradler ein Kampffußgänger?

     

    Ein offenbar rechter Opa hält Sie davon ab, bei Rot überfahren zu werden - und Sie danken ihm, indem Sie sagen: „Jetzt ist es besser, du würdest die Fresse halten."

     

    Für den Opa war das offenbar eine Ausnahmesituation, die seinen Knigge-Vorrat überforderte. Hätte er sich nicht für Sie eingesetzt, hätte er auch nicht mit Ihnen reden brauchen, um sich zu rechtfertigen.

  • G
    gerstenmeyer

    verfolgungswahn?