Kolumne Unter Leuten: Berlins kleinster Sexshop
In Mahlsdorf (Berlin) betreiben zwei Rentner den Sexladen „Röschen's Intimvitrine“ – eine versteckte Attraktion mitten im Vorstadtidyll.
Die namensgebende Intimvitrine gibt es tatsächlich. Sie hängt neben dem Hauseingang der Koschinskis und ist so etwas wie die Arche Noah der Sextoys. Im Glaskasten sind Dessous, Liebeskugeln und erotische Plakate vor einer grünen Gardine ausgestellt, dekoriert mit Rosen aus samtrotem Stoff. Den Weg zur Datscha hinter dem Haus weist eine Leuchtkette.
Als ich den Laden betrete, steht die 68-jährige Annerose Koschinski allein hinter dem Tresen. Dunkelrot gefärbte Haare, randlose Brille, beige Strickjacke – das freundliche Großmütterchen von nebenan. Um sie herum blinkt es wie auf dem Jahrmarkt, das Sortiment an Dildos und Latexvibratoren ist bunt beleuchtet. Besuch kam heute noch keiner.
„Laufkundschaft ist selten“, sagt Annerose. „Zu uns kommse gezielt.“ Früher, in Sachsen, da hat sie Schaftstepperin gelernt, erzählt sie. „Das Oberteil vom Schuh, das hab ich hergestellt.“ Später war Annerose im Handel tätig. War viel unterwegs. Rudi hat sie nur am Wochenende gesehen. „Kurz nach der Wende kam mein Mann dann mit der Idee: ein Erotikshop, hier bei uns zu Hause.“
Annerose Koschinski
Die meisten Kunden kommen aus Mahlsdorf und anliegenden Bezirken. Manche sind weit über 80. „Die haben so ihre Zipperlein“, sagt Annerose. Wenn die Älteren allein mit ihr im Laden sind, öffnen sie sich für ein intimes Gespräch. Oft hört sie die gleichen Geschichten. Die Frauen wollen im Alter von Sex nichts mehr wissen. Annerose empfiehlt dann Massageöle und Federn. „Es muss ein Vorspiel geben, damit die Frau Gefallen daran findet“, sagt sie. „Der Mann hat Druck und dann geht’s los – das ist nüscht.“
Außer Dildos und Vibratoren verkaufen sich Erotikfilme ganz gut. Richtig Old School, auf DVD. Annerose zeigt mir ihr Regal. Sie hat die Filme nach Themen sortiert. Busen. Strumpfhosen. Dunkelhäutige. Lesben. Transen. Dick und schwanger. Swinger. „Swinger gehen auch gut, muss ick sagen!“
Ob sie in ihrem Job noch etwas überraschen kann? Ja, schon, sagt Annerose. Vor ein paar Jahren kam eine Frau und bestellte Peitschen und schwarze Strapse. Sie hatte rausgefunden, dass ihr Mann auf Sadomaso steht. „Die hat sich noch hier umgezogen, um ihren Mann von der Arbeit abzuholen.“ Ans Aufhören denkt Annerose Koschinski nicht. Nur etwas mehr Kunden könnte sie gebrauchen. Es sind einfach zu wenige, die sich nach Mahlsdorf verirren.
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