Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Sachsenknacker und geklaute Gaudi

Menschen haben seit jeher das Bedürfnis nach Geselligkeit. Bis jetzt haben die Sachsen noch kein eigenes Fest dafür.

Gläser mit Weihnachtsmotiven stehen auf einem Holztisch.

Neue Gelegenheiten zum Trinken und ein eigenes Fest dafür – das brauchen die Sachsen Foto: Flickr/Class M Planet

Für viele gehört es dieser Tage zum guten Ton, sich über den Weihnachtsmarkt in der Leipziger Innenstadt aufzuregen. Zu schrill sei es dort, zu laut, zu teuer, zu viele Menschen seien da, es laufe zu schlechte Musik. Mit feinschmeckerischer Arroganz blicken sie herab auf Kreationen wie Kräppelchen mit Glühweingeschmack oder die sogenannte Weihnachtswurst, die in der Bude eines Metzgerei­betriebs vertrieben wird.

Der andere Teil der Leipziger*innen liebt ihren Weihnachtsmarkt. Allein am ersten Wochenende begaben sich rund eine halbe Million Menschen in die Dunsthaube aus Bratwurst und Räucherstäbchen. Gerade jetzt, wo angesichts der verschärften Sicherheitslage viele Leipziger*innen es als ihre oberste Bürgerpflicht sehen, den Weihnachtsmarkt zu besuchen.

Er ist ja auch etwas Besonderes, der Leipziger Weihnachtsmarkt. Glühwein und Bienenwachskerzen, das kennt man auch anderswo in Deutschland. Doch nur hier inmitten der historischen Altstadt Leipzigs gibt es den Rückmarsdorfer Mutzbraten oder – ohne welchen jeder Besuch auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt ein unvollständiges Erlebnis bliebe – den Sachsenknacker.

Ähnlich interessante Adaptionen waren schon im Herbst zu beobachten: Ganze zwei Wochen lang feierten die Leipziger*innen auf dem Messegelände das Oktoberfest. Mit dem traditionellen Münchner Oktoberfest hatte das allerdings nur noch wenig zu tun. Bei Vodka Lemon, Dirndln in schrillen Farben und Ballermanngrößen wie Mickie Krause auf der Bühne mochte sich die bayerische Schunkelgemütlichkeit nicht so recht einstellen.

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In Bayern hat ja jedes Dorf sein eigenes Bierzelt, im Rheinland jedes Kaff sein Weinfest. Und in Sachsen? Sachsen hat den Buß- und Bettag. Nach Spaß und geselligem Beisammensein klingt das nicht unbedingt. Doch danach sehnen sich auch die Sachsen. Damit sie nicht weiter die frohen Feste der anderen klauen müssen, brauchen sie endlich ihr eigenes. Warum nicht den Buß- und Bettag – den traurigsten aller Feiertage – entstauben und enttrauern? Nicht Reue und Besinnung sollten das Motto sein, sondern das genaue Gegenteil.

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Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.

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