Kolumne Sternenflimmern: Zieht den EU-Pulli aus!
Glauben wir wirklich, ein schickes blau-gelbes Accessoire hilft, während Europa Feuer fängt? So leicht ist es leider nicht.
J etzt gibt es da diesen Pulli. Den EU-Hoodie (Kapuzenpullover), der zum Trend wird, das gelbe Sternennetz gedruckt auf blauen Grund. Katarina Barley trägt ihn, viele junge Menschen auch und posten Bilder davon auf Instagram.
Ich weiß, ich klinge wie meine eigene Großmutter, aber: Muss denn wirklich alles zu Lifestyle werden? Glauben wir wirklich, ein schickes blau-gelbes Accessoire, ein ernstes Gesicht, das oben herausguckt, helfen, während Europa Feuer fängt?
Anstatt gegen den Rechtsruck zu kämpfen, gegen aufgezwungene Austeritätsprogramme, gegen eine EU, die Flüchtlinge entweder unter brutalsten Bedingungen in libyschen Lagern verrotten lässt oder aber sie herausholt und in Niger parkt, kuscheln wir uns in selbstdarstellerisches Blau.
Politiker:innen und Parteien wollen uns ebenda haben. Im Pulli statt im Protest. Der politische Diskurs wird banalisiert; die inhaltslosen Wahlplakate, die vor Demut zu schrumpfen scheinen, zeugen davon: Sorry, nur ganz schnell, es geht um „Mut“, „Stärke“, mehr braucht ihr nicht zu wissen.
Stärken wir doch lieber den Eindruck, dass für viele die aktuelle Europawahl bedeutsamer ist als die vergangenen, wegen des Brexits und rechtspopulistischer Emporkömmlinge. Konterkariert wird diese Entwicklung aber von dem diametral laufenden Prozess, starke politische Positionen aus dem Ringen um Europa herauszusaugen.
Ein Lächeln, ein Filter – fertig?
Sich auf die Mechanismen der Populisten einzulassen, es ihnen gleichzutun. Jörg Meuthen zu fragen, ob auch er den EU-Hoodie tragen würde (würde er nicht, er wusste nämlich nicht einmal, was ein Hoodie ist). #EUnify, ein Lächeln, ein Filter – fertig? Nein, das wird nicht genügen.
Pulli-Poser, fragt ernsthaft nach den Gründen, warum das Europa, das wir alle (siehe Hoodie) mehr denn je wollen, von anderen bekämpft wird. Beschäftigt euch damit, dass wir ein Oben-und-Unten-Europa geschaffen haben, in dem die Länder des Nordens wie Deutschland produzieren und investieren und die Volkswirtschaften Südeuropas – nicht.
Wo, wie etwa in Italien, der Technologie- und Wissenschaftssektor seit Jahren niedergespart wird, wo kein Geld da ist, um es in die marode Infrastruktur zu investieren, wo die Produktivität tatsächlich stillsteht oder, wie im Falle Griechenlands, sogar sinkt.
Ein gemeinschaftlicher Investitionstopf, eine wirtschaftlich gerechte Basis würde auch den europäischen Geist schärfen, sie wäre die Voraussetzung für all das, was wir wollen. Wenn auch weniger schick.
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