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Kolumne SpäterVielleicht doch die SPD? Schwierig

Was tun, wenn die Lieblingspartei den eigenen Interessen widerspricht und in die Lebensentwürfe reinquatscht? Nachsichtig sein.

Bei Sonnenuntergang sieht Politik ganz anders aus Bild: dpa

N eulich kamen wir auf die Bundestagswahl zu sprechen, als ich mit Theresa und Thomas und den Campingstühlen zum Sonnenuntergang auf das Tempelhofer Flugfeld zog. Ich selbst habe jetzt so einen neuen Hightech-Stuhl aus dem Outdoorladen. Superleicht, schweineteuer.

„Die CDU“, sagt Theresa und klappt ihren Stuhl von Aldi auseinander, „wäre eigentlich am besten für mich. Wir profitieren doch vom Ehegattensplitting.“ Eine gewisse Sympathie für die CDU hatte sie schon vor Jahren entdeckt, als die konservativen Unionsfrauen gegen das neue Unterhaltsrecht protestierten, das eine SPD-Justizministerin auf den Weg gebracht hatte. Trotzdem hat sie immer links gewählt. Theresa arbeitet in Teilzeit als Sozialpädagogin, Thomas verdient gut mit seiner IT-Firma, die Kinder fast aus dem Haus.

„Wir müssten ein paar tausend Euro im Jahr draufzahlen, wenn das Ehegattensplitting verschwände“, sagt Thomas, er hat seinen Stuhl bereits aufgestellt im Gras. Der Himmel über dem Tempelhofer Feld ist mal wieder spektakulär. „Kämen die Grünen an die Macht und schraubten den Spitzensteuersatz in die Höhe, wären noch mal ein paar tausend Euro weg“, fährt er fort.

Bild: Jutta Henglein-Bildau
Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Soziales in der taz. Von ihr erschien das Buch „Älter werden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik).

„Die Grünen kommen aber nicht an die Macht, jedenfalls nicht allein“, sage ich und stecke meinen Helinox-Campingstuhl mit den metallicblauen Füßen zusammen, meine Stuhlkonstruktion ist komplizierter. „Die Grünen zu wählen, ist letztlich immer ungefährlich.“

Hühnchen rumpfen mit der SPD

Mein zynischer Grundton gefällt mir nicht. Ich habe mit den linken Parteien auch ein Hühnchen zu rupfen. Ist mir unangenehm, wie die SPD-Frauen einem reinquatschen in die Lebensentwürfe. Nicht jede Mutter oder jeder Vater will dringend in Vollzeit arbeiten und den Nachwuchs in Vollzeit abgeben, wenn die Kinder noch klein und knuddelig sind. Manch einer trägt sein Kind in dieser Phase lieber öfter selbst durch die Gegend, ohne gleich ein konservativer Depp zu sein.

„Wählen hat was mit Identität zu tun“, sagt Theresa und lehnt sich in ihren Campingstuhl zurück, „da kann man nicht nur an den Geldbeutel denken.“ Hm. Nichtsdestotrotz kommt mir Tante Zilly in den Sinn, die nach jahrzehntelanger SPD-Wählerei in den 70er Jahren vorübergehend die FDP ankreuzte, nur weil Onkel Wladi befördert worden und die Familie zu Geld gekommen war. „Wir können uns doch nicht den Ast absägen, auf dem wir sitzen“, hatte Zilly damals gesagt. „Am Ende entscheiden vielleicht die Details“, sage ich, „und die aktuelle Lebenslage“.

Meine Bekannte Silke, die in einem Kreuzberger Altbau lebt, will neuerdings die Linkspartei wählen, weil die gegen teure Modernisierungen sind. Und ich finde die Pflege plötzlich ganz wichtig, seitdem Zilly im Seniorenheim lebt. Also vielleicht doch die SPD. Schwierig.

Ich habe mich in meinem Campingstuhl niedergelassen, er ist ein bisschen niedrig, aber okay. „Sitting is believing“ wirbt der Hersteller mit einem Werbefoto, auf dem der Stuhl in einer Mondlandschaft steht. Genial, diese Verbindung aus Bequemlichkeit und Freiheit.

„Früher hätten wir uns einfach ins Gras gesetzt“, grinst Thomas und schaut in unsere Runde, „aber man wird eben älter.“ „Quatsch“, antwortet Theresa, „hier gibt es jetzt einfach mehr Zecken.“

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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12 Kommentare

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  • B
    band

    @Hauke Laging

     

    Zwar verbieten Rote und Grüne nicht das Tragen des Kleinkinds, aber sie erschweren sehr wohl gewisse Familienmodelle.

     

    Durch das neue Unterhaltsrecht, durch die Demontage der Witwenrente, durch die Forderung nach Abschaffung des Ehegattensplittings, die rabiate Kürzung jedlicher monetären Leistungen für Familien,

    die Forcierung des privaten Bildungs und Betreuungsmarks, die Privatisierung der Rente durch Rister etc, die Senkung der Löhne durch Harz4 und damit Aufkündigung des Ernährerlohns, das viel zu niedrige Existenzminimum für Kinder in der Steuer und im Harz4-Bezug, durch bewußte Bevölkerungspolitik nur für die gutverdienende Mittelschicht (das klassistische Elterngeld war eine Idee von Renate Schmidt), durch bewußte Steuerung der Gelder in die Sozial/Betreuungsindustrie,...

     

    Kinderreiche Familien oder familienorientierte Menschen werden ganz klar benachteiligt.

    Ebenso Menschen, die nicht erwerbstätig sein können,

    sei es daß sie andere pflegen oder nicht erwerbsfähig sind.

  • F
    Frederik

    In der Schweiz haben sich per Volksentscheid die Bürger für eine Regulierung von Managergehältern ausgesprochen. Sogar über eine 1:12 Regelung wird dort nun nachgedacht. Ich hoffe, dies auch irgendwann einmal in Deutschland erleben zu dürfen.

    Welche Partei im Bundestag setzt sich am stärksten für Volksentscheide ein? Genau, gar keine wenn ich mir die Daten auf Abgeordnetenwatch ansehe. Es ist Zeit neuen Parteien hier eine Chance zu geben, die ihre Glaubwürdigkeit noch nicht verspielt haben und sich für Volksentscheide einsetzen. Wenn ich mit keiner der etablierten Parteien zufrieden bin, wähle ich nicht das geringste Übel mehr, sondern gebe neuen Parteien eine Chance, die sich für mehr Bürgerbeteiligung einsetzen, auch auf die Gefahr hin, dass diese unter 5% bleiben. Immerhin habe ich die bestehenden Verhältnisse, mit denen ich unzufrieden bin, nicht bestätigt.

  • HL
    Hauke Laging

    "Manch einer trägt sein Kind in dieser Phase lieber öfter selbst durch die Gegend, ohne gleich ein konservativer Depp zu sein."

     

    Vielleicht habe ich etwas verpasst, aber meines Wissens planen weder SPD noch Grüne noch Linkspartei, das zu verbieten.

     

    Lächerlich wird es, wenn "nicht in die Lebensentwürfe reinquatschen" plötzlich heißt, dass man sich das, was man "lieber" möchte, plötzlich von den anderen bezahlen lassen will.

  • P
    Peter

    Ich bin mittlerweile nicht mehr bereit, mich in diese Taktik des "Kleineren Übels" hineinmanövrieren zu lassen. Warum auch? Mittlerweile ist es Partei übergreifend Konsens, im Wahlprogramm Versprechungen zu machen wo bereits klar ist, dass das nicht realisierbar ist. Am besten gelingt dies derzeit der "Linken", deren Wahlprogramm sich wie ein Wunschzettel an den Weihnachtsmann liest. In Berlin gibt es bereits eine (ganz) große Koalition. Im Vordergrund stehen die eigenen Pfründe, Diäten und Pöstchen. Nicht zur Wahl zu gehen ist falsch. Ein paar "chaotische" Ergebnisse von Parteien, die nicht im Bundestag sind, würden die Etablierten mal wieder auf Trapp bringen und zum Nachdenken zwingen. Rechts kommt nach wie vor nicht in Frage! Dann vielleicht doch "Piraten" oder "Die Partei" ? Sie sollen ja nicht regieren. Aber eine kreative Unruhe täte dem Verein im Reichstag gut.

  • G
    Guido

    CDU? Hirnloser Mutti-Wahlverein der Großindustrie.

    Was soll für Normalverdiener an denen gut sein??

    Merkel sitzt wirklich alles aus.

    SPD? kommt auch von der Politik fürs große Geld nicht weg - keine positive Erwartung für nichts in Sicht.

    Grüne? Außer Umwelt neoliberal.

    FDP? ohne Worte

    Linke? wenigstens die richtigen Forderungen, aber die anderen haben zuviel Angst (oder verkappte Wut auf die weniger angepassten?), mit denen Merkel abzulösen.

    Es muss wohl erst noch viel schlimmer kommen, bevor sich in D was ändert.

    Wann gehen unsere auf die Straße?

    Diese Stagnation macht Angst.

  • M
    Micha

    Politik interessiert mich nicht - der Artikel aber ist exzellent geschrieben!

  • TR
    Thorsten Reinert

    Tja, das ist das Problem der links-grün-rot-feministich sozialierten LeutInnen:

     

    Obwohl sie mit zunehmendem Lebensalter erkennen, dass die CDU eigentlich die beste Partei ist, packen sie es nicht, den Sprung heraus aus dem lieb gewordenen, schön eingerichteten ideologischen warmen Stübchen heraus zu tun.

     

    Dann wird halt mit Bauchschmerzen doch wieder grün oder links gewählt. Obwohl man/frau "eigentlich" weiß, wie bescheuert diese ganze Position ist.

  • N
    nemorino

    Vor allem sollte man aufhören, im Sinne des "objektiv Richtigen" wählen zu wollen. Hier lauert nur dumme Besserwisserei. Wenn jeder Bürger nach seiner Interessenlage wählt (und vor allem nicht auf jene hört, die ihm weismachen möchten, was seine "objektiven" Interessen sind), dann kommt am Ende ein ganz demokratisches Wahlergebnis zusammen, das in politisches Handeln (sprich: Koalitionen zumeist) umzusetzen ist. Eigentlich doch ganz einfach.

  • X
    xaleobi

    Wird hier allen ernstes die SPD als linke Partei tituliert???

    Ich hoffe, dieser Artikel ist satirisch gemeint, auch wenn sich mir die Aussage in diesem Fall nicht wirklich erschlösse.

    Mir scheint, die verehrte Frau Redakteurin für Soziales hat kein Langzeitgedächtnis - siehe diesen sehr guten Artikel:

    http://www.der-postillon.com/2013/03/mann-ohne-langzeitgedachtnis-uberzeugt.html

  • RB
    Rainer B.

    Natürlich geht es bei Wahlen nicht darum, die Partei zu finden, die dem Einzelnen in seiner Lebenssituation die attraktivsten Versprechungen macht, zumal Wahlversprechen meist das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.

     

    Man sollte sich zunächst fragen, wofür welche Parteien stehen und wie glaubwürdig ihre Personen diese Ziele bislang verfolgt haben. Ein Blick auf das Abstimmungsverhalten zu Sachfragen im Bundestag macht das sehr schnell deutlich. Dann frage man sich, ob das so auch den eigenen Zielen entspricht?

     

    Wenn man dann noch eine Partei findet, die ein durchdachtes Zukunftskonzept bieten kann, welches mit hoher Wahrscheinlichkeit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zugute kommen wird, dann kann man eine Wahl treffen. Alles andere ist Prütt!

  • UZ
    und zu

    Jaja, Hauptsache man wählt die Blockparteien, dann wird alles gut, in Legoland Deutschland.

     

    Der eigene Geldbeutel ist eben immer wichtiger, als andere Menschen - was kümmern uns Arbeitslose, Griechen und Spanier ohne Lebensperspektive, wenn wir für die auf ein paar Euro verzichten müssten.

     

    Dabei stand die taz mal für Moral und Solidarität...lang, lang ist's her. Heute gelten nur Egoismus, Kapitalismus und Chauvinismus. Muss ich jetzt etwa zur jungen Welt als Primärmedium wechseln? *schauder*

  • H
    Hannes

    Gucken Sie sich an, ob sie eine weitere Verelendung breiter Schichten dr Bevölkerung, weitere Umverteilung von unten nach oben, weitere Allmacht der Finanzbranche und Alimentierung derselben, weitere Massenarbeitslosigkeit hier und in Europa, weitere Kriegseinsätze wollen. Wenn nicht gibt es nur eine Partei, die sich zu wählen lohnt, und das ist die LINKE. Wenn Ihnen das nichts ausmacht, ist es letztendlich auch einerlei, welchem Flügel der Kapitalistischen Einheitspartei Sie ihre Stimme geben.