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Kolumne SchlaglochOhne Begriffe kein Denken

Kolumne
von Ulrich Peltzer

Die Erinnerung an die 70er-Jahre-Linke ist die Basis für ein Vokabular der Gegenwart.

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3 Kommentare

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  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Den Gedanken retten zu wollen, "dass man sich bei der Einrichtung der Produktion am Bedarf und nicht am Profit zu orientieren habe", finde ich - von der Intention her - schön und auch gut.

     

    Allerdings sollten wir uns auch hierbei von ontologischen Festschreibungen befreien (so und so ist oder hat der wahre Bedarf zu sein). Es geht doch wohl eher darum, dass sich die global vergesellschafteten Menschen zur menschlichen Gemeinschaft entwickeln indem sie sich (wir uns) in die Lage versetzen, Bedarf und Bedürfnisse zu hinterfragen, in Beziehung zu setzen zu dem, was wer zu dessen Befriedigung zu leisten bzw. in Kauf zu nehmen hätte. Die (öko-)sozialistische Frage ist die eines globalen Ratschlages: für die Erfüllung welcher und wessen Bedürfnisse sollen in welchem Umfang in welchen Regionen mit welchen Methoden Arbeit investiert, Natur und Umwelt umgewandelt oder belastet werden? Analoges lässt sich für "den Profit" sagen. Vom Richtigen richtig zu profitieren ist geil! Erste Voraussetzung für richtig Bewegung dahin: bevor wir uns überlegen, was an unseren Ideen und Handlungen Teil der Lösung dieser Aufgabe ist sollten wir erkennen, dass es in der Tat "kein richtiges Leben im Falschen gibt" und alle natürlich immer auch - zumindest zum Teil - Teil des zu lösenden Problems sind.

     

    Gruß hh

  • HH
    Hans-Hermann Hirschelmann

    Zum Kommentar von Thomsen

     

    "Solidarnosc, Kriegsrecht, schließlich der Zusammenbruch des gesamten Ostblocks und der Fall der Mauer haben dem damaligen linken Weltbild buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen - und davon hat sich, was in Deutschland so als "links" galt, bis heute nicht erholt.

     

    Das ist schon deshalb nicht richtig, weil es auch damals kein "linkes Weltbild" gab. Außer in der DKP/SEW Presse wurde in den linken Medien etwa über die Streiks und die politischen Forderungen von "Solidarnosc" recht ausführlich und zumindest anfangs mit großer Sympatie berichtet, analoges lässt sich über Kritik am Hinauswurf Biermanns und Bahros oder dem Hausarrest Robert Havemanns sagen. In meinem damaligen Westberliner "linkem Umfeld" wüsste ich außer einigen Personen, die, wie sich später herausgestellt hatte, der Stasi zu Diensten waren, niemand, der dem östlichen "Gartenzwergsozialismus" zugeneigt war. Die meisten von uns waren - zumindest in den 80er Jahren allerdings mittels Einreiseverbot daran gehindert, tiefer gehende Erfahrungen zu machen und trügerische Hoffnungen auf eine Reformierbarkeit des "realen Sozialismus" einem Realitätscheck zu unterziehen.

     

    Richtig ist, dass - nicht nur deshalb - damals (und wohl bis heute) die linke Analyse & Kritik der bisherigen Sozialismusversuche in der Regel zu oberflächlich waren (sind), und wir z.B. so gut wie keine konkreten Vorstellungen davon entwickelten, wie nach einem möglichen Mauerfall hätte mehr (Öko-)Sozialismus gewagt werden können. Wolf Biermann rief bei seinem ersten Ostkonzert nach dem Mauerfall in Leipzig seinem Publikum zu, dass er das Wort "Wiedervereinigung" nicht hören will weil "wir jetzt die einmalige Chance haben, das nur nominale Volkseigentum in wirkliches Volkseigentum zu verwandeln". Doch das war nicht mehr als ein frommer Wunsch. Hatte irgendjemand eine ungefähre Vorstellung davon, was "wirkliches Volkseigentum" bedeuten könnte? Etwa wie weit es das überhaupt geben könne, und für "Sozialismus", (verstanden als Verallgemeinerung der Möglichkeit zur Mitbestimmung der Produktionszwecke), nicht viel mehr "wirkliches Völkereigentum" von Nöten wäre?

     

    Ein Konsens darüber herstellen zu wollen, dass "der Kapitalismus" endlich weg müsse, wie Ulrich Pelzer meint, halte ich wegen dieser ganzen Unklarheiten allerdings auch für kontraproduktiv. Es würde für erste reichen, sich etwa auf die Notwendigkeit eines globalen, ökologischen Ressourcenmanagements zu einigen, darauf, dass diktatorischen Regimes die Chance genommen wird, der Bevölkerung geraubtes Vermögen auf irgendwelche Kanalinseln zu transferieren damit es in postkolonialistisches Ausbeutungsvermögen verwandelt wird, in seriöse Staatsanleihen zugunsten von Bankenrettungsmilliarden oder als "fiktives Kapital" sonstwelche Enteignungsspielchen treiben kann. Und einiges Mehr in diese Richtung einschließlich eines globalen "Green New Deal".

  • T
    Thomsen

    Die damalige deutsche Linke der siebziger Jahre ist daran gescheitert, dass sie es weitgehend vermieden hat, die Lage und die Ereignisse im "Real existierenden Sozialismus" wirklich gründlich anzuschauen, zu analysieren und daraus Konsequnzen zu ziehen. Stattdessen wurden Scheinerklärungen gesucht, oder gleich der Kopf in den Sand gesteckt - was insbesondere in West-Berlin, wo der Anschauungsunterricht nur die S-Bahn-Fahrkarte und das "Begrüßungsgeld" (Zwangsumtausch+Visagebühr) kostete, zu einer absurd-unwirklichen Situation führte, die man deutlich spürte, wenn man sich der "Frontstadt" vom östlichen Ausland her näherte.

     

    Solidarnosc, Kriegsrecht, schließlich der Zusammenbruch des gesamten Ostblocks und der Fall der Mauer haben dem damaligen linken Weltbild buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen - und davon hat sich, was in Deutschland so als "links" galt, bis heute nicht erholt.

     

    Es rächt sich eben, wenn man vor unliebsamen Tatsachen die Augen schließt, anstatt ihnen mutig ins Gesicht zu schauen.