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Kolumne Russia TodayJournalismus auf Knien

Kolumne
von Johannes Kopp

Es ist ein wildes Armfuchteln, Aufspringen, Aufschreien, Außersichsein: Wie die südamerikansche Presse ganz ehrlich subjektiv berichtet.

Pathos pur: Auch Luis Suarez kann, was südamerikanische Sportjournalisten können Foto: Reuters

M eine Nachlässigkeit verhalf mir zu dem besonderen Platz und der besonderen Perspektive. Um ein paar Minuten hatte ich die Akkreditierungsfrist für die Partie zwischen Uruguay und Portugal verpasst. Und so bekam ich nicht wie sonst üblich einen Tisch in dem Pulk deutscher Kollegen zugewiesen. Über die Warteliste gelangte ich in den Ultrafanblock der südamerikanischen Journalisten.

Grundsätzlich lässt sich nur schwer behaupten, die Pressetribünen in den WM-Stadien Russlands wären ein Hort der Objektivität. Ein gewisses Bemühen darum kann man jedoch schon feststellen. In den Reihen der lateinamerikanischen Kollegen dagegen halten sich die Anstrengungen um Sachlichkeit sehr in Grenzen.

Wie ein lebloses Phlegma muss ich ausgesehen haben inmitten dieser Kollegen, deren Körper von gewaltigen Energien unter Strom gesetzt wurden. Es war ein wildes Armfuchteln, Aufspringen, Aufschreien, Außersichsein.

Als das Team von Uruguay sein erstes Tor erzielte, warf sich einer der Berichterstatter auf die Knie, streckte beide Hände aneinandergelegt gen Himmel und schrie seine ganze Anspannung heraus. Es dauerte. Vor lauter Dankbarkeit wollte er vom harten Betonboden gar nicht mehr aufstehen.

In Deutschlands Journalistenschulen wird bis heute darüber diskutiert, wie denn das berühmte Neutralitätsgebot zu verstehen ist, das Hanns Joachim Friedrichs einst so formulierte: „Ein guter Journalist macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ Und es wird darüber debattiert, wie frei und objektiv man wirklich sein kann.

Das Subjektivitätsgebot

Im Stadion von Sotschi bekommt man eine recht sicheres Gespür dafür, wie eine solche Debatte unter südamerikanischen Sportjournalisten enden würde. Das Gegenteil würde für richtig erklärt werden. Es würde ein Subjektivitätgebot formuliert werden: „Ein guter Journalist macht sich mit einer guten Sache – wie etwa dem eigenen Nationalteam – immer gemein.“ Zu loben daran ist die Transparenz. Wer die Berichte dieser Reporter kauft, weiß, was er bekommt.

Das Subjektivitätsgebot ist jedoch kein lateinamerikanisches Ding. Die Medienkritik einiger deutscher Nationalspieler während dieser WM rührt ebenfalls aus dem Verständnis heraus, dass Spieler und Berichterstatter eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Schließlich reist man ja seit Jahren gemeinsam um die Welt.

Dieses Näheverhältnis lässt auch manchen deutschen Sportjournalisten wie einen Fan erscheinen, selbst wenn sie sich bemühen, sich wie neutrale Journalisten zu benehmen. Das ist weniger transparent. Gewiss dagegen ist: Sollten Uruguay am Freitag gegen Frankreich gewinnen, werden die Landsleute auf der Pressetribüne in Nischni Nowgorod aus ihrer Freude nicht den geringsten Hehl machen.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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1 Kommentar

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  • Es geht hier ja noch immer um Fußball, muss man vielleicht nicht ganz so ernst nehmen, wie ein Kriegsberichterstatter. Auch wenn der Duktus häufig ähnlich ist.