Kolumne Psycho: Wut ist besser als gar keine Gefühle

Während einer depressiven Episode nutzte meine Hündin meine Schwäche gnadenlos aus. Sie hatte die falschen Schlüsse gezogen.

Eine Hündin schläft in einer Hundehütte

Meine Hündin schlief weiter, wenn ich heulte Foto: dpa

Hunde, so heißt es ja gerne, helfen vorzüglich bei psychischen Erkrankungen: Sie kritisieren und verurteilen nicht, wirken stimmungsaufhellend und lieben bedingungslos, und nicht zuletzt sind sie SO UNFASSBAR SÜSS, dass wir bei ihrem Anblick in unserem überschwappenden Oxytocin beinahe ertrinken.

Keine Ahnung, von welchen Hunden die WissenschaftlerInnen dieser Studien reden, aber von meiner Hündin nicht. Das wurde mir schmerzhaft bewusst, als ich vor zwei Wochen den Höhepunkt einer depressiven Episode erlebte, oder besser: den Tiefpunkt.

Ich kam kaum aus dem Bett, konnte keine Entscheidungen treffen und nach dem Beantworten einer einzigen Mail war ich so erschöpft, dass ich mich am liebsten wieder hingelegt hätte. Und die Hündin? Schlief weiter, wenn ich heulte. Drehte sich weg, wenn ich sie streicheln wollte. Und seufzte vorwurfsvoll, wenn ich mit leeren Augen auf den Fernseher starrte.

Aber draußen war es am schlimmsten. Anstatt mich zu unterstützen, nutzte die Hündin meine Schwäche gnadenlos aus. Ich kenne dieses Phänomen von den Kindern meiner Freundinnen, aber die stürzen sich wenigstens nicht auf AltersgenossInnen, um sie zähnefletschend über den Haufen zu rennen. Die Hündin schon. Und. Zwar. Jeden. Einzelnen.

Wie ausgewechselt

Positiver Nebeneffekt dieser Adrenalinschübe: Sie machen wach. Und Wut ist immer noch besser als gar keine Gefühle. Aber vor allem fühlte ich mich wahnsinnig hilflos und allein. Nach ein paar Tagen bekam ich schon Panik, wenn ich nur an den nächsten Spaziergang dachte. Half aber alles nichts, wir mussten ja raus.

Dort traf ich zufällig eine Freundin, die nicht nur einen top erzogenen Hund hat, sondern auch viel Geld machen könnte, wenn sie ihr Wissen als Hundetrainerin vermitteln würde. Und während unseres Gesprächs wurde mir klar, dass die Hündin nicht auf andere Hunde losgeht, um mich zu ärgern, sondern um mich zu beschützen. Sie hatte meine Schwäche also sehr wohl registriert, aber die falschen Schlüsse daraus gezogen. Jetzt musste ich sie nur wieder in die Spur bringen, nachdem ich monatelang versäumt hatte, ihr klarzumachen, dass nicht sie die Chefin ist, sondern ich.

Und tatsächlich: Bereits am nächsten Tag war die Hündin wie ausgewechselt. Lammfromm trabte sie bei Fuß, suchte Blickkontakt und hörte auf, andere Hunde anzupöbeln. (Na ja, zumindest pöbelte sie weniger.) Und ich spürte nicht nur, wie mein Selbstvertrauen im Umgang mit der Hündin wiederkehrte, sondern dass es insgesamt wieder aufwärtsging.

Denn die Hündin hatte mir meine Selbstwirksamkeit vor Augen geführt: die Überzeugung, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Ich muss ihr nur noch erklären, dass das nicht unbedingt auf die harte Tour sein muss.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.