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Kolumne PressschlagPro und Kontrazeptiva

Kolumne
von Markus Völker

Die 800-m-Olympiasiegerin Caster Semenya verliert vorm Sportgericht CAS, aber nur halb. Die Rechte Intersexueller werden berücksichtigt. Gut so!

Hat vor Gericht verloren und zugleich gewonnen: Caster Semenya Foto: ap

C aster Semenya hat über 800 Meter alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, beispielsweise Gold bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Am Mittwoch hat die südafrikanische Läuferin allerdings verloren. Vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS.

Die Zweirundenläuferin, 28, wollte gegen eine Regel des internationalen Leichtathletikverbandes IAAF vorgehen, der intersexuellen Athletinnen eine Hormontherapie auferlegt, damit deren hohe Testosteronwerte sinken. Semenya fand diese Regel „diskriminierend, unnötig, unzuverlässig und unverhältnismäßig“.

Drei Sportrichter aus Lausanne befanden, dass die Regel in der Tat diskriminierend sei, diese Diskriminierung aber nach gründlicher Prüfung „ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel“ sei, damit der Leichtathletikverband seine „Integrität“ waren könne, wie es die Juristen etwas verschwurbelt ausdrückten. Im Grunde geht es darum, nicht an der binären Logik der Wettkämpfe zu rütteln: Männer laufen gegen Männer und Frauen gegen Frauen. Das soll so bleiben, und nicht wenige Leichtathletikfans werden beruhigt aufatmen, dass es beim Althergebrachten bleibt.

Aber just an diesem Punkt wird es kompliziert, weil Semenya sich nicht eindeutig zuordnen lässt. Phänotypisch ist sie eher weiblich, karyotypisch, von ihrer chromosomalen Ausstattung her, ist sie XY, also ein Mann. Ihr Körper produziert zu viel vom männlichen Sexualhormon Testosteron. Frauen kommen normalerweise mit weniger als 2 Nanomol pro Liter aus, Männer liegen zwischen 7,7 und 29,4 nmol/l. Es ist unzweifelhaft, dass Testosteron wie ein Leistungsbooster wirkt, allen sophistischen Anstrengungen der Semenya-Verteidiger zum Trotz.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Südafrikanerin sieben Sekunden auf 800 Meter verlöre, würde sie ihr Hormonlevel wie gefordert unter 5 nmol/L drücken. Sie wäre keine Spitzenläuferin mehr, sondern eine unter vielen. Aber ließe sich auf diese Weise Chancengleichheit herstellen, zumal Semenya nicht die einzige erfolgreiche intersexuelle Läuferin über 800 Meter ist und die hinterher japsende XX-Konkurrenz doch leicht verstimmt ist ob der Dominanz von Semenya und Co?

Recht auf Teilhabe

Die Richter schlugen sich zwar auf die Seite der IAAF, aber sie äußerten auch ihre Bedenken, und das gleich dreifach. Zunächst wiesen sie darauf hin, dass es für die Betroffenen schwierig sein könnte, den Hormonspiel konstant auf niedrigem Niveau zu halten. Die Frage ist ja: Was passiert, wenn Semenya in dieser Zeit mit einem Wert von 6 nmol/l erwischt wird?

Die IAAF-Regel ist also nach diesem Urteil nicht in Stein gemeißelt, sondern quasi fluide. In regelmäßigen Abständen sollte sie evaluiert werden

Unter Punkt zwei empfahlen die Richter eine Aussetzung der IAAF-Regel für Läuferinnen auf der 1.500-Meter-Strecke und auf der Meile (1.852 m), weil hier angeblich noch unklar sei, ob intersexuelle Athletinnen einen Vorteil hätten. Und schließlich müsste beobachtet werden, wie gut die Läuferinnen mit den Hormongaben klarkommen, ob Nebenwirkungen auftreten.

Der Hormonspiegel lässt sich mit handelsüblichen Kontrazeptiva regeln, aber auch das stellt keinen geringen Eingriff in die, wenn man so will, „Integrität“ des Körpers der Athletinnen dar. Letztlich stehen sich hier verschiedene, und in ihrer Gewichtung fast gleich starke Pros und Contras gegenüber: Die Athletinnen pochen auf ihr Recht auf Teilhabe, auf die Unversehrtheit des Körpers und ihr Rollenverständnis als Frau, die IAAF sieht die Chancengleichheit in Gefahr, fokussiert sich auf eine „Diskriminierung“ der „normalen“ Läuferinnen und pocht auf Erhaltung der Dualität Mann–Frau.

Das Urteil des CAS ist salomonisch. Es besagt: Der sportliche Wettkampf kann wie bisher stattfinden, aber die Rechte der Intersexuellen müssen besondere Berücksichtigung finden. Die IAAF-Regel ist also nach diesem Urteil nicht in Stein gemeißelt, sondern quasi fluide. In regelmäßigen Abständen sollte sie evaluiert werden. Das ist auch eine gute Nachricht für die bislang Distanzierten. Sie können darauf hoffen, jetzt über 800 Meter öfter mal aufs Podium zu steigen.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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7 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Gerade habe ich einen Kommentar von Balian (früher: Yvonne) Buschbaum zum Thema gelesen, der mich sehr berührt hat. Darin ist die Rede davon, dass die Richter sich mal die Schuhe von Caster Semenya anziehen sollten. Ein passendes Bild.

    Die bislang unbeachteten Kommentare von Age Krüger und Thomas Friedrich weisen für mich in die richtige Richtung. Ich frage mich: wenn Foristen auf eigentlich naheliegende Lösungen kommen, wieso dann nicht die Entscheider???

    • 9G
      97088 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Die Idee mit den drei Wettkämpfen ist unabhängig vom Aufwand akzeptabel - aber wie ich unten schon mit kommentiert habe stellt sich mir die Frage, ob die betroffenen Sportler*D das dann wollen. Die treten ja zum individuellen Siegen derzeit in einer vergleichsfreien Gruppe an und nicht zum verlieren unter gleichen Bedingungen.

  • Geschlechtertrennung im Sport abschaffen und durch Testosteronklassen ersetzen. So einfach ist das.

    Schließlich geht es bei der Geschlechtertrennung im Sport nicht um Gender-Gedöns, sondern darum, Menschen mit vergleichbarer Biologie gegeneinander antreten zu lassen.

    • @Thomas Friedrich:

      Was darauf hinauslaufen würde, dass die paar wenigen Intersexuelle, die das betrifft, dann eben zusammen mit den Männern Wettkämpfe bestreiten würden. Das könnte man auch einfacher haben als wegen einer Handvoll Athleten das ganze System umzubauen.

      • 9G
        97088 (Profil gelöscht)
        @gyakusou:

        Dem Argument stimme ich voll zu. Nur - Intersexuelle werden dann nicht mehr starten weil sie wegen ihres ursprünglichen Vorteils in der „Testosterongruppe“ nicht mehr uneingeschränkt gewinnen können bzw. vorne liegen. Und damit dreht sich dann die Benachteiligungsschraube erneut.

  • Dann muss es eben auch im Sport drei Möglichkeiten und drei Wettbewerbe geben.

    M, W und D.

  • Ein Recht auf Teilhabe ließe sich auch ohne Medikamente ohne weiteres herstellen; entweder durch Einführung von Wettkäpfen eines dritten Geschlechts oder aber durch eine Aufhebung der Geschechterunterteilung. Bis dahin hat sich der Sportgerichtshof für die drittbeste mögliche Lösung entschieden.