Kolumne Pressschlag: Friedensstiftender Konflikt
Trotz all des lauten Kriegsgeschreis: In den deutschen Fußballstadien findet derzeit ein erstaunlicher Zivilisierungsprozess statt.
E s ist endlich an der Zeit, genau hineinzuhören in die deutschen Stadien. Denn alle scheinen derzeit nur noch Wut zu hören. Und in diesem Getöse geht völlig unter, dass ein erstaunlicher Zivilisierungsprozess unter den Fanatischsten der Fanatischen in Gang gebracht worden ist. Klar, könnte das Kriegsgeschrei in den deutschen Stadien momentan kaum größer sein. Die beiden populärsten Botschaften „Fick dich DFB“ und „Krieg dem DFB“ werden allerorten fleißig auf Plakate gepinselt.
Grobschlächtig und martialisch sind diese Parolen. Und man hat erst einmal nicht den Eindruck, sie seien von ausgeklügelten Vorstellungen geleitet. Aber dahinter steht nicht nur eine identitäts-, sondern auch friedensstiftende Kraft.
An diesem Wochenende konnte man das beim 1. FC Magdeburg beobachten, als nach der Drittligapartie zwischen dem Gastgeber und Hansa Rostock, die Präsidenten beider Vereine mit den Ultras im heimischen Block auch über Formen möglicher Zusammenarbeit sprachen.
Eigentlich wurden die Rostocker Anhänger nach einem DFB-Urteil von diesem Spiel wegen verschiedener Vergehen ausgeschlossen. Nachdem die Hansa-Fans mitteilten, dass sie von den Magdeburgern mit 1.000 Karten versorgt worden seien, nahm der Verband schnell ein Gnadengesuch an und das Urteil zurück.
Verbindende Politisierung
Die Vorstellung war dem DFB dann vermutlich doch ein wenig zu unheimlich: Ultras rivalisierender Vereine friedlich vereint in einem Block. Die wundersam vereinigende Kraft des Protests entfaltet sich derzeit in ganz Deutschland.
Verfeindete Ultra-Gruppen tragen Spieltag für Spieltag hübsch abgestimmte Wechselgesänge vor. Abseits der Spiele werden die Proteste einträchtig koordiniert. Man trifft sich und vernetzt sich immer engmaschiger. Dieser dritte Spieltag wurde zum „Aktionsspieltag gegen Korruption beim DFB“ ausgerufen. In den nächsten Wochen sollen weitere Themen der politischen Agenda plakativ abgearbeitet werden.
Es findet eine verbindende Politisierung statt. In den Netzwerken wird das Positionspapier der Ultras Gelsenkirchen zur Reform des Sechs-Millionen-Mitgliederverbands DFB diskutiert. Die Ultras waren noch nie dafür bekannt, zu zaghaft zu sein und ihren Einfluss zu unterschätzen. Die Frankfurter Nordwestkurve, so war kürzlich auf einem Fanportal zu lesen, kritisiert den hessischen Innenminister.
Je mehr Zuspitzung also der Konflikt zwischen den Ultras und dem Deutschen Fußball-Bund erfährt, desto stumpfer werden die recht unübersichtlichen Rivalitätsverhältnisse, welche die Ultras bis vor Kurzem noch untereinander mit großem Eifer gepflegt haben. Die Sicherheitskräfte schauen einer womöglich recht entspannten Saison entgegen.
Man hat sich beim DFB schon viele vergebliche Gedanken gemacht, wie man ein „sicheres Stadionerlebnis“ herstellen kann und sich dabei immer in Opposition zu den Ultras gesehen. Ausgerechnet die vom Verband so gegeißelte Ultra-Kampagne „Krieg dem DFB“ scheint nun kurioserweise zu größerer Stadionsicherheit beizutragen. Wenn es gegen den DFB geht, ist man gar wie in Magdeburg bereit, die Blocktrennung zu überwinden.
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