Kolumne Press-Schlag: Viel Geflatter um nichts
Jogi Löw hebt an zur großen Analyse des WM-Versagens. Er hätte vieles hinter sich lassen können. Hat er aber nicht – und landet als Lame Duck.
![Deutsche Fußball-Nationalmannschaft, Präsentation der WM-Analyse und Kader-Bekanntgabe für die Länderspiele gegen Frankreich und Peru Deutsche Fußball-Nationalmannschaft, Präsentation der WM-Analyse und Kader-Bekanntgabe für die Länderspiele gegen Frankreich und Peru](https://taz.de/picture/2927511/14/21283966.jpeg)
D ie Erzählung von der Lame Duck kam im 18. Jahrhundert auf, weil ein Händler an der Londoner Börse seine Schulden nicht mehr bedienen konnte. Die lahme Ente ist dann vom Londoner Finanzdistrikt aufs Feld der Politik geflattert. Lahme Enten haben die Angewohnheit, so zu tun, als ginge es ihnen bestens: Sie besäßen noch den vollen Machtumfang, behaupten sie, seien mopsfidel und ein Anführer, sozusagen der Goldbroiler, seien sie auch noch. Die Außenstehenden wissen meist: Das ist viel Geflatter um nichts. Bald hängt die Ente am Spieß.
So geht es auch dem Bundestrainer Jogi Löw. Er muss nach der für ihn desaströs verlaufenen Weltmeisterschaft in Russland viel Wind machen, um zu vertuschen, dass er nicht mehr der Alte ist, mithin nicht mehr der Weltmeistertrainer, dem keiner am Lack kratzen kann.
Die lahme Ente Jogi trat am Mittwoch zum ersten Mal seit fast zwei Monaten vor die Presse und erklärte sich. Löw wirkte dabei etwas fahrig, aber das ist wohl normal, denn das Scheitern und die Umstände drum herum waren schmerzlich für ihn. Sie haben das Selbstbild des Großtrainers angekratzt.
Lange acht Wochen hat er für eine Analyse gebraucht, die gar nicht mal so schlecht war: Er übte wie auch Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff Selbstkritik, sie sprachen demütig von „Entfremdung“, „Arroganz“, von schweren Fehlern, vom Fehlen einer Nähe zu den Spielern. Der Bundestrainer sprach auch über den Verlust „der goldenen Mitte“ im Spielsystem und davon, dass er dem Ballbesitzfußball zu dogmatisch gehuldigt habe.
Wird schon irgendwie werden
Sie wollen nun dies und jenes ändern, vor allem wollen sie wieder „Energie und Begeisterung“ in die müde Truppe bringen, die sich ja schon in der nächsten Woche gegen Weltmeister Frankreich beweisen muss. Auch wichtig: eine neue „Balance“. Das ist alles richtig, aber Löws Ausführungen waren die eines Gesundbeters, der mittels Selbstsuggestion eine bunte Zukunft malt.
Wird schon irgendwie werden, gell Olli, „das konnten wir uns auch gegenseitig versichern“ – so beschrieb Löw die Kleingruppendynamik auf der Nati-Führungsebene. Da haben sich zwei Gescheiterte gegenseitig Mut gemacht, auf dass es bald schon wieder besser werde und sie dort anknüpfen können, wo sich nur eine Laufmasche gebildet hat. Es war nicht alles schlecht, früher. Wäre ja ein Fehler, jetzt alles über Bord zu werfen. Ein „Jetzt-erst-recht-Gefühl“ müsse sich nun unter den Nationalspielern ausbreiten.
Viel mehr als eine ganz nette Motivationsrede hatte er vorerst nicht zu bieten, der Bundestrainer. Löw, der das Team seit 2005 begleitet, wirkte in München ein wenig ratlos, sogar persönlich verletzt, als er offenbarte, dass ihn Mesut Özil bis heute nicht zurückgerufen hat. Der Coach hätte das alles hinter sich lassen können, diese ganzen mäandernden Diskussionen über das Erdoğan-Foto, die Rassismusdebatte und das Kartoffel-Kanaken-Gedöns, mit dem der Spiegel zuletzt daherkam. Er hat es nicht getan. Er will weiter Goldbroiler sein. Das ist legitim, aber er muss wissen, dass er die ganzen Altlasten der Vergangenheit als schweren Rücksack mitschleppt.
Ein neuer Trainer hätte im Grunde das Gleiche sagen können wie Löw. Aber was bei dem einen das Gequake einer Lame Duck ist, käme beim anderen als großer Aufbruch rüber.
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