Kolumne Press-Schlag: Marktwertschaftler gegen Kapitalisten

Die Loser der Fußball-Bundesliga haben eine Idee: Sie wollen mehr TV-Geld abhaben, indem sie sich ihre Traditionsnamen bezahlen lassen.

ein Fußballer formt mit seinen Händen ein Herz vor der Brust

Claudio Pizarro: Ikone beim Traditionsverein Werder Bremen – bei dem es zurzeit nicht so läuft Foto: dpa

Laut tönt es von Rang elf: „Die Tabellenposition ist nur ein Kriterium von vielen“, sagt Bernd Wahler. So wie der Präsident des VfB Stuttgart denken auch seine Kollegen von Platz 17 (Eintracht Frankfurt), Platz 14 (Werder Bremen), Platz 12 (Hamburger SV) und Platz 9 (1. FC Köln). Dass auch der derzeitige Drittplatzierte Hertha BSC sich in diese Vereinigung namens „Team Marktwert“ einreiht, verweist im Grunde nur darauf, wo sich die Berliner in der nächsten Saison sehen: eher im Mittelfeld.

Im „Team Marktwert“ haben sich sogenannte und selbsternannte Traditionsvereine versammelt, die bei dem bislang geltenden und stark am fußballerischen Erfolg orientierten Verteilungsschlüssel der TV-Einnahmen um künftige Erträge bangen; 35 Prozent des Fernsehgeldes wird nach Leistungskriterien verteilt.

Also wollen sie auch nach „Fanbasis, Beliebtheit, Bekanntheit, TV-Reichweite und Interaktionsraten in Social Media“ Geld kriegen. Und weil sich ein Teil der sich unter ihrem Marktwert verkauft wähnenden fußballerischen Marktwertschaftler in der nächsten Saison eine Klasse tiefer finden könnte, wird explizit die Zweite Bundesliga mit eingeladen, die Fernsehgelder künftig nicht mehr nur nach Leistung, sondern auch nach Klickzahlen zu bestimmen.

Eure Leistung darf sich nicht lohnen, rufen VfB, Werder, HSV, FC, Hertha und Eintracht nicht nur Vereinen wie Leverkusen oder Wolfsburg zu, sondern auch dem FC Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04, die ja interessanterweise gar nicht auf die Schnapsidee kommen, für sich die weinerliche Wir-sind-doch-auch-ein-Traditionsverein-Karte zu ziehen. Denen dürfte nämlich klar sein, dass „Tradition“, „Bekanntheit“ und „Fanbasis“ ziemlich wacklige Werte sind.

Was ist ein Traditionsverein?

Wenn Tradition betriebswirtschaftlich als Marke zählen und sich auszahlen soll, warum sollte dann in der Ersten und Zweiten Liga haltgemacht werden? Fanbasis und Klickzahlen hängen doch nicht von Spielklasse oder Tabellensituation ab. Warum sollten dann nicht Rot-Weiß Essen oder der FC Magdeburg mehr Geld fordern? Ähnlich wie Eintracht Frankfurt spielen die zwar nicht hochklassig, tragen aber einen großen Namen, sind mithin auch dafür verantwortlich, dass Fußball die Sportart Nummer eins in Deutschland werden konnte.

Wenn Hertha BSC auf seine Tradition pocht, warum sollten dann nicht auch andere Klubs dieser Stadt etwas einfordern dürfen: Tasmania oder TeBe, Blau-Weiß oder auch der BFC Dynamo mit mehr Meisterschaften und mehr Europapokalteilnahmen als Hertha? Und welcher ist überhaupt ein Traditionsverein? Den angeblich so wenig geschichtsbeladenen VfL Wolfsburg gibt es seit 1945, der schwer auf seine Geschichte pochende erste Bundesligameister 1. FC Köln hingegen wurde 1948 gegründet. Und ein als Retortenklub geltender Verein wie die TSG Hoffenheim hat sich ein 1899 in den Namen geschrieben.

Die aktuelle Diskussion ist sehr lehrreich: Ein Traditionsverein ist augenscheinlich einerseits dadurch definiert, dass er abstiegsbedroht ist oder damit rechnet, es bald zu sein. Und zum anderen erkennen wir solch einen geschichtsträchtigen Klub daran, dass er Mitglied des „Teams Marktwert“ geworden ist.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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