Kolumne Press-Schlag: 6.799.970 Statisten
Joachim Löw und Co. erweitern ihre Machtbasis, der DFB besteht nur noch aus seiner Nationalmannschaft. Wen interessiert da schon die Basis?
D er DFB hat über 6,8 Millionen Mitglieder. Er ist der größte Sportverband der Welt. Scheinbar. Denn derzeit ist der Deutsche Fußball-Bund nicht größer als die Verbände von Liechtenstein, Tonga, Turkmenistan oder Burkina Faso. Im Mittelpunkt stehen hier wie da exakt jene 22 Mann, die im Nationalteam spielen. Und die paar sehr wichtigen Herren drum herum.
Wir haben es in der Außendarstellung des DFB mit einem Schrumpfverband zu tun, der sein Kerngeschäft im Hinterzimmer abwickelt und auf der großen Bühne jene 22 Mann plus Trainergespann ins Schlaglicht rückt. Mehr Nationalteam war selten im DFB.
Mit der Vertragsverlängerung von Jogi Löw bis Mitte 2016, der Installierung von Hansi „im Glück“ Flick als Sportdirektor (ab Mitte 2014 bis 2019) und der Weiterbeschäftigung von Manager Oliver Bierhoff sowie Torwarttrainer Andy Köpke bleibt nicht nur alles beim Alten, nein, jetzt hat Jogis Nationalteam-Team auch noch komplett die Regentschaft im DFB übernommen. Der DFB besteht nur noch aus seiner Nationalmannschaft. Die 6.799.970 anderen sind Staffage.
Über Jahre war die Auswahl ein Staat im Staate, es gab Reibereien und Kompetenzgerangel, vor allem mit Sportdirektor Matthias Sammer. Damals, sagte Löw gestern, sei „die Zusammenarbeit geschehen“, also die mit dem Sportdirektor. Geschehen. Das klingt nach schlimmem kommunikativem Gewürge und tief wurzelnder Antipathie.
Wolfgang Niersbachs Vorgänger auf dem DFB-Chefposten, Theo Zwanziger, verstand sich stets als Mann der Basis. In seiner Zeit bestand eine klare Grenzziehung zum Territorium der Nationalmannschaft. Auch er sonnte sich im Erfolg der Elf, doch so nah wie Niersbach kam er ihr nicht. Niersbach kokettiert nicht nur mit diesem Dasein in der Korona des Teams, sie dient ihm auch als Legitimationsbasis. Denn viel mehr hat Niersbach nicht zu bieten als die Nähe zur Truppe.
Gepampert und überversorgt
Jetzt ist im DFB also alles Nationalmannschaft. Die Nati ist überall. Diese Supernatiisierung, so wollen wir das mal nennen, überdeckt andere Projekte. Daher verwundert es überhaupt nicht, dass sich die Öffentlichkeit auf den WM-Erfolg von Löws Truppe bei der Weltmeisterschaft in Brasilien versteift. Wer die Auswahl und seine Betreuer derart pampert und überversorgt, muss auch damit leben, dass alle Welt den Titel und nichts als den Titel erwartet.
Bloß was passiert, wenn Jogis Jungs nur Vierte werden am Zuckerhut oder gar im Achtelfinale an Belgien scheitern. Was dann? Wie viel ist in diesem Fall noch das wunderbare Vertragswerk wert, das man jetzt ausgeheckt hat? Und was wird aus dem armen Hansi Flick, der im Misserfolgsfall womöglich ohne die geflüchteten Löw und Bierhoff als Einmannrumpftrupp im DFB weiterwerkeln muss?
Entdeckt der DFB vielleicht wieder seine Liebe zu den Amateurligen und der Frauenbundesliga? Gibt es dann die regelmäßige Pressekonferenz mit einem Ehrenamtler sowie einem Antirassisten der Woche? Auch das live im Fernsehen mit ARD-Brennpunkt am Abend?
Es gebe noch keine „Sättigung der Marke Nationalmannschaft“, hat Bierhoff gestern festgestellt. Man kann also weiter auf die Tube drücken. Es kommt immer noch ein bisserl heraus, wenn man nur kräftig genug quetscht. Deswegen hat Bierhoff im Sommer auch nicht hingeschmissen. Dieser Job ist auch nach zehn Jahren immer noch lukrativ. Das gilt auch für die anderen im Tross. Man kann das verstehen. So viel Liebe zwischen dem DFB und seiner Nationalmannschaft war selten. Was für ein Traum!
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