Kolumne Press-Schlag: Ungebremste Freude
Ein Ausdruck sportiver Männlichkeit: Jogi Löw rast, der DFB lässt rasen, Bierhoff witzelt, und der Sponsor wollte doch nur mal sein Produkt zeigen.
J ogi Löw saß nicht am Steuer. Dabei ist er doch der „Steuermann“ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) des deutschen Fußballs. Vorne saß einer, der eigentlich etwas davon versteht: Pascal Wehrlein, bei Mercedes-Benz angestellter DTM-Fahrer.
Passiert ist Wehrlein nichts, auch nicht den Beifahrern Benedikt Höwedes und Julian Draxler, beides Nationalspieler. Verletzt sind nur zwei Nichtpromis: ein deutscher Urlauber und ein Gemeindearbeiter aus dem Südtiroler St. Leonhard, wo Löw, Draxler, Höwedes und Kollegen sich gegenwärtig auf die Fußball-WM vorbereiten.
Am Tag vor dieser DFB-Raserei war eine andere bekannt geworden. Bundestrainer Löw muss seinen Führerschein für sechs Monate abgeben. „Selbstverständlich stehe ich dazu, dass ich manchmal leider zu schnell gefahren bin“, teilte Löw mit. „Ich weiß, dass ich mich hier zügeln muss.“
Für Löws Rückenfreihalter bei der Nationalelf, Oliver Bierhoff, ist die Sache mit dem fehlendem Lappen und nun anstehendem „Idiotentest“ ein Grund zum Witzeln: „Wir werden mit unserem Generalsponsor sprechen, dass man Jogi nur noch Autos gibt, die tempolimitiert sind.“
Vorherrschaft auf der Straße
Der Generalsponsor ist Mercedes-Benz, und der wollte am Tag nach Bierhoffs Witzelei mit Nationalspielern auf einer offensichtlich nicht genügend gesicherten Strecke ein Werbevideo für ein sehr leistungsstarkes Auto drehen. Mercedes-Benz verkündet nun, es sei eine bloße „Produktfahrt-Vorstellung“ gewesen, „kein Speed-Rennen“. Aber, bitte, wozu ist eigentlich ein Auto mit 360 PS da? Doch genau dafür: Speed! Vorherrschaft auf der Straße! Und dafür, sich selbst die Vorfahrt zu genehmigen! So ungefähr darf man sich nämlich Jogi Löw im Straßenverkehr vorstellen: gerne auf der linken Spur, in der Regel zu schnell und öfter mal mit dem Handy am Ohr.
Nun kam es im DFB-Trainingslager zu besagtem Unfall. Der gilt allen Beteiligten zwar bloß als PR-Desaster – und nicht als Crash, bei dem Menschen verletzt wurden. Aber sowohl Löw als auch Wehrlein zeigen, warum Mercedes-Benz und der DFB so gute Partner sind. Zu schnell fahren gilt nämlich allemal besser, als vorsichtig zu schleichen. Dergestalt den Straßenverkehr zu gefährden, ist eher Ausdruck sportiver Männlichkeit denn ein ahndungswürdiges Vergehen.
Raul Bobadilla, Fußballprofi des FC Augsburg, wurde im Jahr 2013 mit 111 Stundenkilometern in der Basler Innenstadt erwischt, wo 50 erlaubt waren: Zu 13.000 Euro Strafe und einer 16-monatigen Gefängnisstrafe auf Bewährung wurde Bobadilla verurteilt.
Bei Bobadilla ist niemand zu Schaden gekommen, deutsche Behörden hätten ihn nie so hart verfolgt. Also hätte Jogi Löw ruhig noch überholen und Oliver Bierhoff noch ein Witzchen beisteuern können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt