Kolumne Press-Schlag: Sie haben sich irgendwie verrannt
Viel laufen bringt nicht immer viel. Wer klug Fußball spielt, lässt den Gegner laufen und ist im entscheidenden Moment ausgeruht.
![](https://taz.de/picture/57603/14/buffy_ettmayer.jpg)
L oriots Frage „Ja, wo laufen sie denn?“ ist Geschichte. Heute fragen wir: Wie viel laufen sie denn? Kein Bundesligaspieltag ohne eine detaillierte Analysen der Laufleistungen. 16 Kameras teilen sich die Rasenfläche und messen auf den Meter genau aus, welche Strecke jeder Spieler zurückgelegt hat. 13 Kilometer abgerissen? Wow! Ein echter Spitzenwert. Nur 8,1 Kilometer? Ein offensichtlich fußlahmer Stehgeiger, der die Arbeit verweigert. Für Reporter, Trainer, Publikum gilt gleichermaßen die einfache Gleichung: Je mehr, desto besser.
Bei näherem Hinsehen entdecken wir allerdings Ungereimtheiten. Die Kilometerfresser Freiburg und Stuttgart verbuchen Spitzenwerte in den Laufleistungen, stehen aber auf Platz 17 und 18 der Tabelle. Wahrscheinlich ein Messfehler. Lionel Messi, der beste Fußballspieler der vergangenen Jahre, brachte es bei der letzten WM in Brasilien im Schnitt auf die oben genannten 8,1 Kilometer und war damit einer der lauffaulsten Spieler. Auch Cristiano Ronaldo stand in Sachen Laufleistung am Ende der WM nur auf Platz 357.
Wäre es möglich, dass Messi und Ronaldo vielleicht auch deshalb so wertvolle Spieler sind, weil sie nicht sinnlos Kilometer schrubben, sondern ihre Kräfte dosieren und bei Ballbesitz viel explosiver sind als die ausgedörrten Langstreckenläufer? Erinnert sich noch jemand an Buffy Ettmayer? Der ehemalige VfB-Stuttgart-Spieler, bei dem das Trikot in der Oberbauchregion immer so schön spannte, hatte den Aktionsradius eines Bierdeckels und war dennoch ein erfolgreicher Torschütze und genialer Passgeber.
Entschuldigung, das war jetzt natürlich unsachlich, weil Ettmayer vor 40 Jahren spielte und heute von VfB-Trainer Huub Stevens nicht mal als Balljunge eingesetzt werden würde. Auch den Hinweis auf den meist gemächlich trottenden Günter Netzer wollen wir uns an dieser Stelle verkneifen.
Gleichmäßig trabender 13er
Zurück zur Aktualität. Bayern Münchens Spieler laufen relativ wenig. Warum auch? Sie lassen lieber den Ball laufen. Wer mehr Ballbesitz hat, muss weniger laufen. Jürgen Klopps Borussen laufen dagegen wie die Hasen? Okay, keine Häme gegen die Schwarz-Gelben. Dafür einige womöglich unseren Fußballverstand anregende Fragen. Ist ein Spieler, der nur neun Kilometer zurücklegt, aber die mit schnellen Antritten und hoher Geschwindigkeit, womöglich besser als ein gleichmäßig trabender 13er?
Und wie wäre es, die Kilometerleistung mit den Ballkontakten zu verbinden? Hat sich der Dauerläufer mit wenig Ballbesitz vielleicht nur in der Sportart geirrt? Bei unserer Datenversessenheit sollten wir nicht nur messen, wie viele Meter die erfolgreichsten Torschützen und besten Passgeber zurücklegen, sondern auch, welche Ruhepausen sie sich wann und wie lange nehmen.
Wir wollen hier nicht dem Mittagsschlaf das Wort reden. Aber der Spielintelligenz. Und der wohldosierten Laufleistung – sowie den nötigen Erholungsphasen. Kurz: der Effizienz. Bei der letzten WM ist übrigens Thomas Müller am meisten gelaufen. Auf Platz zwei stand Toni Kroos. Diese Rangliste ist allerdings kompletter Unsinn, denn die Statistiker vergaßen schlicht den Hinweis, dass die deutschen Spieler – weil sie bis ins Endspiel kamen – auch die meiste Einsatzzeit hatten. Teilt man die Kilometerleistung durch ebenjene Einsatzzeit, liegt Müller nur auf Platz 79 und Kroos auf Platz 121.
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