Kolumne Parallelgesellschaft: Muss mein Leben anders werden?

Klimaschutz ist zum Mainstream geworden. Für viele Ökos ist das gute Gefühl passé, antimodisch zu sein. Denn Klimawandel, eine Konversion unseres Lebensstils, der ist jetzt schwer cool.

Im Nebenhaus wohnt Carla, eine kulturwissenschaftlich orientierte Studentin, Schwerpunkt Genderforschung. Gern läuft sie durch die Straßen unseres Viertels. Kommt sie an einem Erzählcafé der Arbeitsloseninitiative vorbei, lächelt sie; passiert sie hingegen den Discounter, entfährt ihrem Mund ein von einem sachten Kopfwackeln begleitetes "Ts ts ts …". Sie sagt, dass sie nicht anders könne, als Läden und Zustände zu missbilligen, in denen noch die alte Welt alles erfüllt. Lebensmittel aus Massenproduktion. Carla, Anfang 30, will natürlich die Welt besser machen, und sie wird die Grünen wählen, das ist klar.

Anders gesagt: Carla ist eine Grüne, die nun schmollt, dass auch viele andere auf die Idee kommen, ja Lust haben, das Ihre zum Besseren zu tun. Ihr Freund, der Gernot, wirkt auch nicht froh über den klimafreundlichen Stimmungswandel in - ich zögere zu schreiben: unserer Gesellschaft. Sagen wir besser: in uns.

Meine Nachbarn scheinen verschnupft. Das sagen wir doch seit 20 Jahren, sagt der Gernot, und die Carla ergänzt, jetzt, da alle vom Klimawandel reden, werde das Anliegen verwässert, ja, von der politischen Botschaft entfernt - Klimawandel im Guten, jawoll! -, so dass am Ende alles bleibt, wie es ist. Mir scheint: Die Carlas und Gernots und all die anderen Grünen sind enttäuscht, dass sie ihren Nimbus als Kassandren der Zeitläufte einbüßen. Sie wollten und wollen Öko - aber doch nicht so, dass der letzte Proll plötzlich anfängt, im Ökoladen mit der Verkaufsassistentin darüber zu streiten, weshalb selbst hier Produkte nicht ohne chemische Zusatzstoffe auskommen.

Kurzum: Für sehr viele Grüne ist das gute Gefühl passé, antimodisch zu sein. Denn Klimawandel, eine Konversion unseres Lebensstils, der ist jetzt schwer cool. Bionade und all das andere Zeug mag man belächeln und von der Antispießerpolizei geißeln lassen - aber es sind Zeichen, dass etwas anders werden kann. Und viele werden das tun, und sie werden nicht wie Grüne der ersten Jahrzehnte aussehen, sondern wie Bürger und Bürgerinnen, die das meiste satthaben, was sie als Zumutung empfinden - auch die Ironisierung des Ökomäßigen.

Heute früh wollte ich nicht pünktlich im Job sein und bin stattdessen zum Elektrohandel gelaufen, um endlich gute, meinetwegen kälter lichtende Glühbirnen zu kaufen. Ein Komplettrelaunch meiner privaten Wohnumstände. Es war mir, als hätte man mir das Gehirn gewaschen, klar, aber ich konnte nicht anders: Ich wollte ein anderer Mensch werden. Es war prima. Endlich war mir die Weltrettung einerlei, es ging mir nur um mich. Schön auch, dass man sich weiter lustig machen dürfe über die Übereifrigen, die Geschmacksgouvernanten - Hauptsache, ich konterkariere nicht meine eigene Lust an einer Art Leben, die das Höher, Besser, Weiter etwas hinter sich lässt.

Carla hörte bis zum Ende zu und ging. Sie sah enttäuscht aus. Offenbar schwer verkraftend, dass es anderen egal war, dass sie schon seit ihren Erweckungszeiten immer recht hatte. Sie lebt, so gesehen, tragisch. Der Welt kann das wahrscheinlich egal sein.

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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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