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Kolumne Nullen und EinsenMama, life had just begun

Was dabei rauskommt, wenn „die jungen Leute“ immer nur noch auf „ihre Smartphones starren“? Ziemlich viel kreatives und intelligentes Zeug.

Andy Warhol hätte das geliket Screenshot: @thesamephotoofbanana

A uf Twitter hat neulich eine den Text von Queens „Bohemian Rhapsody“ gepostet. Ja, okay, werden jetzt einige sagen: Der passt in sieben Tweets. Das kann ich auch.

Stimmt. Aber Hadie Mart bzw. @CostcoRiceBag hat die 377 Wörter des Songtextes in dreieinhalb Monaten auf 377 aufeinanderfolgende Einzeltweets verteilt. Von oben nach unten gelesen ergeben deren erste Wörter den kompletten Songtext, ansonsten sehen sie aus wie normale Tweets aus dem Leben einer 21-jährigen Studentin aus Minnesota. Auch Wörter wie Beelzebub, Mia oder Figaro hat sie wie beiläufig eingebaut.

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Es ist ein verdammtes Kunstwerk! Das also kommt dabei raus, wenn junge Menschen „die ganze Zeit in ihre Smartphones starren“ (es muss in diesem Zusammenhang immer das Verb starren verwendet werden, das hat die ­GzaBnK, die Gesellschaft zur abschätzigen Beurteilung neuer Kulturtechniken, so festgelegt): ein intelligentes Spiel mit Sprache, ein kreatives Ausreizen neuer Kommunikations­techniken. Was für ein Kulturverfall im Vergleich zum TV- und Festnetzzeitalter.

Wobei Twitter mit seinem schriftzentrierten Ansatz ja so oldschool ist, dass auch ich (37 Jahre) da noch ganz gut mitkomme. Ein Tweet hat keine Zeitdimension, auch die räumlichen Parameter der Textanordnung sind überschaubar. Man kann mit Zeilenumbrüchen spielen, mit intertextuellen Bezügen (wie Hadie Mart) oder mit dem Limit von 280 Zeichen. Aber letztlich bleibt es eine simple Zeichenkette.

Bei videobasierten Sozialen Medien hingegen, also Snapchat, YouTube, Instagram Stories – genau die Kanäle mit jüngeren Nutzern – kapituliere ich. Da gibt es Loops, Zeitlupen, Filter, man kann seine Videos schneiden und Text an jede beliebige Stelle im Bild einblenden: so viele Möglichkeiten! Ich kriege das nicht hin und fühle mich sehr alt, ein wenig wie ein Waldmensch. Ich bewundere alle, die das gut beherrschen.

Denn ja, ich bin ernsthaft davon überzeugt, dass der ständige Umgang mit einer immer herausfordernderen Medienproduktion, mit all ihrer Hypertextualität, mit den sich rasend schnell verändernden sprachlichen und visuellen Codes „die Jugend“ nicht verdummt, sondern geistig eher nach vorne bringt. Es kann gut sein, dass darunter die Konzentrationsfähigkeit leidet, aber irgendwas ist ja immer.

Und deswegen umarme ich auch, was US-amerikanische Teenager aktuell auf Instagram veranstalten, obwohl, nein: weil es das exakte Gegenteil von Bewegtbild ist. Accounts wie @thesamephotoofabanana oder @daily_baby_penguin veröffentlichen jeden Tag exakt das gleiche Foto. Teilweise seit Monaten und teilweise mit Zehntausenden Followern. Was sich ändert, ist die Bildunterschrift. Da erzählen sie kleine Dinge aus ihrem Leben, veröffentlichen Fakten zum abgebildeten Gegenstand, stellen ihren Followern Fragen – die Kommentare machen den Beitrag aus, nicht das Foto.

Okay, das könnten sie auch einfach twittern. Aber da sind ihre Freunde nicht. Außerdem, warum sollten sie? Es ist das Internet, Leute! Macht was draus

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Michael Brake
wochentaz
Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.
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4 Kommentare

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  • "Denn ja, ich bin ernsthaft davon überzeugt, dass der ständige Umgang mit einer immer herausfordernderen Medienproduktion, mit all ihrer Hypertextualität, mit den sich rasend schnell verändernden sprachlichen und visuellen Codes „die Jugend“ nicht verdummt, sondern geistig eher nach vorne bringt."

    Leider deckt sich das nicht mit der aktuellen Forschung.



    Insbesondere social media verdummen nachweislich erheblich.

    Und nein es leidet nicht nur die Konzentration darunter.



    Z.B.: Lernleistung sinkt schon dann erheblich , wenn lediglich der SItznachbar einen Laptop, Smartphone etc im Unterricht verwendet (ca. 17 %)



    Kurzsichtigkeit, soziale Inkompetenz, weniger Empathie sind die schon nachweibaren Effekte bisher, um nur einige zu nennen.

    V.A: ist die SPaltung zwischen klug und dumm viel größer, das intelligente Menschen nachweislich weniger (außer Kurzsichtigkeit) von den Effekten betroffen sind.



    Das einigermaßen kreative Menschen Twitter eingermaßen kretiv benutzen bewiese bestenfalls, das Ihre Fähigkeiten nicht ganz verschwinden.



    Den Faden also falsch hreum aufgerollt bei dieser Argumentation

  • Gonzo-Journalismus. Das war's dann wohl.

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Intellektuelle, also etwa Leute, die sich was Neues mit häufig vorerst unterschätzter Bedeutung ausdenken, hat es immer gegeben und wird es immer geben, da darf man ganz beruhigt sein, nur halt nicht in der Blase in der sich der Autor dieses Beitrages aufhält

  • Das ist kreativ. Aber in starren Grenzen. Wenn wir also jetzt nicht dringend die Anfangsbuchstaben dieses Posts zu Poesie erklären wollen (so ungefähr: dika is gwwaj ndd adpz pew suk wuwa udddüdd hvb frhad v silb), können wir uns weiter abregen und die Digitalisierung denen überlassen, die die Herstellung von Büchern für ressourcenaufwändiger halten als die von Smartphones inklusive laufendem Betrieb.