Kolumne Nullen und Einsen: Moralische Wegfahrsperren
Produkte wurden entwickelt, um dem Menschen zu dienen. Wie großartig es wäre, wenn die Drohne in Pakistan sich weigerte, einfach loszufeuern.
A ngela Merkel ist betroffen. Offenbar sogar persönlich betroffen von den Abhörmaßnahmen der US-Geheimdienste. Und damit auch – höflich ausgedrückt – sehr betroffen, was das Vertauensverhältnis zu Obama angeht.
Den Bundesbürgern kann man vielleicht einreden, dass durch die NSA-Abhörerei niemand wirklich zu Schaden gekommen ist – eine wahrscheinlich betroffene Kanzlerin ist auf 180. Ein bisschen peinlich vielleicht, dass sie und ihre Minister den ganzen Sommer versucht haben, die Sache herunterzukochen.
Auch ungünstig, dass sie in den Koalitionsverhandlungen das Thema „Digitale Agenda“ als Unterarbeitsgruppe in die Besenkammer des Bereichs Kultur rümpelte.
Kurz: Was den Umgang mit Kommunikationsdaten angeht, ist man sich in der Union selbst am nächsten. Die Winz-Opposition wird es auch nicht richten. Nicht dass die Mächtigen anderswo mehr reißen würden: Frankreichs Präsident Hollande versuchte, für seine von den USA abgehörten Bürger in die Bresche zu springen – ändern konnte auch er nichts.
Für den kleinen Klub netzpolitisch Aktiver in Deutschland wird das mal wieder den Rückzug in sein kleines gallisches Dorf bedeuten. Dort kann man in Ruhe ein bisschen Widerstand leisten.
Oder aber man versucht sich einmal mehr an einer technischen Lösung – wie Nerds und Geeks das gern tun, wenn sie sich von Politik, Justiz und Welt im Stich gelassen fühlen. Passend dazu präsentierte ein US-Forscher jüngst seine Forschungen zu Maschinen, die ihre Bediener in Gewissenskonflikte stürzen können, wenn sie den blinden Gehorsam verweigern. Im Experiment widersetzten sich Roboter dem Befehl, einen gerade selbst gebauten Bauklötzchenturm einzureißen – und brachten so Menschen dazu, ihre Anweisungen zu überdenken und zurückzuziehen.
Man könnte sich viele Einsatzgebiete für solche techno-moralischen Wegfahrsperren in Hard- und Software zusammenspinnen. Wie großartig wäre es, wenn die Drohne in Pakistan sich weigern würde, blind loszufeuern. Wenn Rechner vor dem besinnungslosen Speichern von Datensätzen Gründe verlangen würden. Oder gar ein Programm sich sperrte, Gesetzesentwürfe weiterzuverschicken – wegen schwerer logischer Fehler.
Zahllose Dystopien haben nur leider schon vorexerziert, das die Idee mit den Maschinen, die Menschen lenken, auch immer im Elend endet. Abgesehen davon, dass ich aus persönlicher Erfahrung mit meinem Java-Skript-Blocker im Browser weiß, wie schnell sich der Irritationseffekt ständiger Sperrmeldungen abnutzt – bis man sie irgendwann entnervt abschaltet.
Und doch steckt etwas darin, was es wert ist, sich immer wieder klarzumachen: Hard- und Software sind keine Naturgewalten, die über uns hereinbrechen, sondern Produkte unseres Geistes. Entwickelt, um dem Menschen zu dienen. Jede Maschine ist am Ende nur so gut oder böse, nützlich oder destruktiv, wie sein Schöpfer sie gestaltet hat. Und ist als solche auch von ihm modifizierbar.
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