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Kolumne Nebensachen aus WarschauDas verflixte weiße Band

Bei der neuen elektronischen Patientendatei ist Fantasie gefragt. Die Wörter „Rentner, Schwangere, chronisch Kranke und Kinder“ kennt das System nicht.

Name, Alter, Blutgruppe, Krankheiten, Krankenversicherungsnummer, Medikamente. All das lässt sich dem Strichcode entnehmen – theoretisch Bild: dpa

W as den Franzosen die Kunst der Liebe, den Engländern der schwarze Humor, den Deutschen ihre Genauigkeit ist, das ist den Polen ihre Fantasie. Als der liebe Gott seine Gaben über die Menschheit verstreute, habe er genau gewusst, was für ein schwieriges Leben die Polen erwarten würde, mit den Deutschen und den Russen als Nachbarn. Tatsächlich bewährten sich in den vergangenen Jahrhunderten Improvisationsgabe, Fantasie und skurriler Witz.

Doch seit das Land an der Weichsel 1989 als erster Staat des Ostblocks freie Wahlen abhielt, zweifeln die Polen mitunter an der Gottesgabe: Handelt es sich nur um eine Art „Notzeiten-Fantasie“? „Bron Boze!“ Um Gottes willen! Aber es wäre schon gut zu wissen.

Denn seit Beginn des neuen Jahres bekommen Patienten in Ambulanzen und Krankenhäusern ein weißes Bändchen mit einem Strichcode umgebunden. Theoretisch wissen nun Krankenschwestern und Ärzte genau, mit wem sie es zu tun haben: Name, Alter, Blutgruppe, Krankheiten, Medikamente, Krankenversicherungsnummer – all das lässt sich dem Strichcode entnehmen. So jedenfalls stellten sich die Erfinder des Bändchens die glückliche e-Gemeinschaft im Krankenhaus vor.

Bild: privat
Gabriele Lesser

ist Polen-Korrespondentin der taz.

Nicht bedacht hatten die Patientenverwaltungsreformer jedoch, dass der Strichcode gelesen werden muss, die Ambulanzen und Krankenhäuser mit tausenden von Lesegeräten ausgestattet werden mussten und auch das Personal zu schulen war. Am 1. Januar brach das Chaos aus.

Die Beweispflicht des Versicherten

Kaum jemand hatte an die Lesegeräte gedacht. Patienten, die vom „Elektronischen Verifikationssystem zur Bezugs-Berechtigung von Gesundheitsleistungen“ („eWus“) registriert wurden, haben ein doppeltes Problem. Sie müssen Lesegeräte ausfindig machen und jeden Tag aufs Neue beweisen, dass sie noch versichert sind.

Das sei völlig normal, findet der Pressesprecher des Ministeriums für Verwaltung und Digitalisierung. Denn das Bezugsrecht auf Gesundheitsleistungen kann ja im Laufe eines Krankenhausaufenthalts erlöschen. Ob in einem solchen Fall der frisch Operierte dann gleich vor die Tür gesetzt werden soll oder noch eine letzte Chance bekommt, sein Bezugsrecht auf Gesundheitsleistungen erneut unter Beweis zu stellen, war noch nicht ganz sicher.

Ungünstig ist auch, dass eWus die Begriffe „Rentner, Schwangere, chronisch Kranke und Kinder“ nicht kennt. Deren Beiträge werden automatisch an den Gesundheitsfonds überwiesen. EWus will nun aber auch täglich wissen, ob das Kind noch Kind, die Schwangere noch schwanger ist und der Rentner noch unter den Lebenden weilt.

In Italien, wo ein ähnliches System eingeführt werden sein soll, so erzählt man in Polen, sei man wieder zur guten alten Patientendatei aus Pappe zurückgekehrt. „Polen am Mittelmeer“ – davon träumen inzwischen die polnischen Patienten mit den weißen Strichcode-Bändchen am Handgelenk.

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Auslandskorrespondentin Polen
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