Kolumne Nebensachen aus Kairo: Die Muttermilch-Fatwa

Eine Muttermilchbank in Kairo soll Ammen Geld bringen und arme Babys versorgen. Das Problem ist nur der Koran und ein Streit der islamischen Rechtsgelehrten um die Geschwisterfrage.

"Zwei Vögel mit einem Stein töten" lautet ein arabisches Sprichwort. So hatte man sich wohl in der Wüste an einem Glückstag sein Abendessen besorgt. Im Deutschen schlägt man da eher mit einer Fliegenklappe und wird gleich zwei der lästigen Insekten los.

Es zählt das Prinzip mit einem Schlag gleich zwei Probleme zu lösen. Genau das ist die Idee des Nationalen Forschungszentrums in Kairo. Geschaffen werden soll dort eine Muttermilchbank, die ähnlich einer Blutbank funktionieren soll. Ammen, die dringend Geld brauchen, können dort ihre abgepumpte Milch in bare Münze umwandeln, während damit Waisenkinder oder unterernährte Babys versorgt werden können. Eine Art lactose Armutsbekämpfung in zwei Richtungen - glückliche Ammen und zufriedene Babys.

Doch der geniale Plan löste unter den Scheichs eine Debatte aus. Das Problem: laut Koran und der Überlieferung des Propheten gelten Kinder, die von der gleichen Amme gestillt wurden als enge Verwandte, haben damit einen Geschwisterstatus und dürfen später nicht in den Ehestand treten. Im besagten Fall der Kairoer Muttermilchbank lautet also die Frage für die islamischen Rechtsgelehrten: dürfen die von der Bank versorgten Milchbrüder und - Schwestern und die leiblichen Kinder der Ammen, die dort ihre Milch abliefern, später einmal untereinander heiraten? Oder ist gar die ganze Idee der Milchbank haram - eine islamische Sünde.

Der bekannteste Fernsehscheich Yussuf Al-Qaradawi beantwortet die Frage auf Youtube und segnet die Milchbank als Halal - also klar islamisch-korrekt ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass später eine junge Frau und ein junger Mann, die beide einst aus der Milchbank versorgt wurden, den Bund fürs Leben schließen wollen, sein ziemlich gering. Aber selbst wenn der Fall eintreten sollte, würden keine islamischen Regeln gebrochen. Denn Milchgeschwister seien nach Islamischen Recht nur jene, die die gleiche mütterliche Brust mit ihrem Mund berührt haben.

Auch für das Ägyptische Haus der Fatwa, ein Zentrum für islamische Rechtsgutachten, ist die Milchbank kein Problem, sobald die Milch verschiedener Mütter miteinander vermischt werde. Das gelte ebenso wenn die Milch erhitzt würde. Auch als Muttermilchprodukt, etwa in Form von Jogurt und Käse, stehe trotz gemeinsamen Verzehrs später einer Ehe nichts im Wege.

Ein Sprecher des Milchbankprojektes bestätigt, dass die Milch gemischt werden wird. Und um allen Problemen aus dem Weg zu gehen, könne man notfalls die Namen der Spenderinnen und der versorgten Babys registrieren. Mit dem einfachsten Argument wartet der ehemalige Mufti Ägyptens, Adel Latif Hamza auf. Wenn das Projekt dem allgemeinen Interesse und der Volksgesundheit dient, dann gebe es dagegen keine islamischen Bedenken - Punkt.

Ja, liebe von Mutterbrust und Muttermilchkäse beseelte Scheichs: Die Wege des Herrn sind verschlungen. Aber manchmal, das zeigt der Mufti a.D., kann man auch einfach die Abkürzung nehmen, um sich dann wieder den wahren Problemen unserer Zeit zuzuwenden.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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