Kolumne Navigationshilfe: Die Deppen sind die anderen

Es gibt kaum eine Gruppe auf dieser Welt, die ihresgleichen so sehr verachtet wie Reisende. Ist „abseits beliebter Pfade“ erstrebenswert?

elefantenherde vor berg

Abenteuer, Einsamkeit, ursprüngliche Tierwelt, dass wollen alle! Foto: imago/Panthermedia

Kürzlich, in Griechenland, sprach ich mit einem unzufriedenen Travel Blogger. Wir reisten als ziemlich große Gruppe. 30 Leute in einem Bus auf dem Weg zu griechischen Theatern. Journalisten, Instagrammer, Blogger, Archäologen. Der Blogger war darüber sehr unglücklich. „Massenreisen in so einem Trupp, das mache ich eigentlich nicht“, schimpfte er. Auf die Frage, was er denn mache, sagte er: „Extrem ausgefallene Sachen.“ Er erzählte von Bergbesteigungen auf den Kilimandscharo, auf den Aconcagua, auf den Elbrus. Das war auch irgendwie lustig, denn auf den Kilimandscharo steigt er garantiert nicht allein.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, wird dem römischen Dichter Plautus zugeschrieben, und vielleicht hat er dabei an Touristen gedacht. Wahrscheinlich gibt es keine Gruppe auf dieser Welt, die ihresgleichen so leidenschaftlich verachtet. Die Suche nach Geheimtipps und abgelegenen Stränden, nach unentdeckten Dörfern und einsamen Wanderwegen, das ist nichts anderes als die Flucht vor diesem anderen, dem Touristen. Wir alle sind Backpacker oder Reisende, Urlauber oder Traveller. Die Deppen, die Touristen, sind die anderen.

Der „Lonely Planet“, die Bibel des modernen Massentourismus, hat dafür einst das Wort „off the beaten track“, Deutsch: abseits ausgetretener Pfade, geprägt. Eine Ironie, wenn Kolonnen 22-Jähriger mit demselben Buch „off the beaten track“ stapfen, einander an den immer gleichen Orten treffen und das ganz unkonventionell finden. Es liegt eine gruselige Egozentrik darin. Der unbedingte Wille, zuerst oder zumindest allein da gewesen zu sein, ein Stückchen Land in ideellen Besitz zu nehmen und damit zu trumpfen.

Abseits der Pfade? Wenn man wirklich „off the beaten track“ geht, dann ist da oft nichts für Reiseromantik. Dann steht man in mittelgroßen industriellen Städten, da gibt es kaum noch Kinos, dafür McDonalds und Teenies, die auf Handys starren. Und wer will da schon hin?

Es liegt eine gruselige Egozentrik darin. Der unbedingte Wille, zuerst oder zumindest allein da gewesen zu sein.

Am Ende ist das Reisen wie die Gemälde von Caspar David Friedrich. Keine Suche nach Wahrheit, sondern nach Romantik. Die Sehnsucht nach einer vermeintlichen Tradition, die doch nur inszeniert ist, nach einer Ursprünglichkeit, die es nie gab. Das ist gar nicht verwerflich. Aber es hilft, wenn man sich bewusst macht, dass wie nur selten das Echte kennenlernen.

Der Blogger bekam dann doch noch sein individuelles Abenteuer: Er ließ sich in die Berge kutschieren. In seinem Bericht, so erzählt er mir am letzten Tag, werde er schreiben, er habe einen Roadtrip durch Griechenland gemacht. Ein bisschen stimme das ja auch. Aber die Wahrheit von der Busreise mit 30 Leuten könne er den Lesern wirklich nicht zumuten.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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