Kolumne Nach Geburt: Süchtig nach Gebrauchtwerden

Müttern wird oft unterstellt, sie könnten nicht loslassen. Sie wollten lieber allein die Kinder hüten. Aber warum können die Männer das so einfach?

Vater mit Neugeborenem auf dem Arm

Der komplette Rollentausch funktioniert nicht immer reibungslos Foto: imago/Westend61

Mutter sein wird oft als Job bezeichnet. Und für fast alle Frauen ist es der erste Job, in dem sie positive Diskriminierung erfahren. Sie haben körperliche Vorteile gegenüber Vätern (Brüste zum Beispiel), strahlen mehr natürliche Autorität aus (der Kinderarzt/die Erzieherin/die Verkäuferin wendet sich eher der Mutter zu) und sie nehmen diese Rolle meist mit erstaunlichem Selbstverständnis an.

Viel ungewohnte Bestätigung für die Mutter: Alle halten sie für die beste Person für diesen Job, dazu wird sie auch noch bedingungslos geliebt und gebraucht. Dieses erhebende Gefühl kann süchtig machen – und zu dem führen, was manche maternal gatekeeping nennen: Wenn die Mutter keinen so richtig ranlässt, weil sie glaubt, alles besser zu können.

Ich bin inzwischen recht gut darin, loszulassen, und es gibt nichts in der Kinderbetreuung, das ich meinem Freund nicht zutraue. Wir haben ja vor ein paar Wochen die Rollen getauscht, ich arbeite Vollzeit, er kümmert sich um Kinder und Küche. Das klappt ganz wunderbar und doch ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich ein bisschen eifersüchtig bin. Denn so ganz getauscht haben wir die Rollen doch nicht.

Als er gearbeitet hat, habe ich ihn morgens immer so lang wie möglich schlafen lassen, danach durfte er duschen (allein! Andere Mütter verstehen, was das für ein Luxus ist). Er bekam dann Tochter eins satt und angezogen überreicht, um sie in die Kita zu bringen. Nach Hause kam er zur Abendbrotzeit und setzte sich zu uns an den gedeckten Tisch.

Zeit für mich?

Jetzt könnte ich das Modell umgekehrt genauso leben. Mein Freund wäre der Erste, der mich darin unterstützt. Aber ich schaffe es nicht. Sobald es gegen 5.30 Uhr im Kinderzimmer knarzt, stehe ich immer noch sofort auf. Denn ich will ja so viel Zeit wie möglich mit den Mädchen haben, bevor ich ins Büro muss.

Ich sehe zu, dass ich früh am Schreibtisch sitze, um spätestens um 17 Uhr den Stift fallen lassen zu können, damit ich schnell wieder bei den Kindern bin. Ein Feierabendbier mit den Kollegen? Direkt nach der Arbeit zum Boxtraining? Zeit für mich? Mein Kopf sagt mir, dass mir das guttäte. Die Sehnsucht und mein Bauch sagen mir: überflüssiger Luxus, ab nach Hause jetzt!

Normalerweise schreibt an dieser Stelle Jürn Kruse. Der ist jetzt in Elternzeit, also muss seine Freundin ran.

Wie schaffen die Männer das nur, dieses latente Schuldgefühl beiseitezuwischen? Wenn ich in meinem Freundeskreis rumfrage, erzählen fast alle Väter das Gleiche: Sie würden ja wirklich auch gerne mal pünktlich Feierabend machen, aber jetzt in ihrem speziellen Fall, da gehe das einfach nicht. Die Dinge müssten ja getan werden, von ihnen, denn sie wüssten ja am besten Bescheid und könnten das am effizientesten erledigen. Die Kunden/Mandanten/Auftraggeber würden ja leiden, wenn sie das nicht übernähmen.

Je länger ich zuhöre, desto mehr wird mir klar: auch das ist eine Form von gatekeeping, nennen wir es professional gatekeeping: Keiner kann meinen Job so machen wie ich. Das erhebende Gefühl, unersetzbar zu sein, haben die meisten Männer schon lange: im Büro.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.