Kolumne Meer: Drei Worte. Du.
Ein neuer Online-Dienst bietet die Möglichkeit, sich Internet-Trollen zum Fraße vorzuwerfen. Doch Anonymus ist bei "der sozialen Form des Ego-Googelns" erstaunlich freundlich.
A nonymous said zeitrafferin is provokant, nervend, und links-extrem, ein anderer findet mich spannend, gemein, und knuffig. Aufschlussreich nicht nur für mich, sondern auch für alle meine Kollegen, ist der Kommentar dumm, selbstverliebt = taz.
Ich habe mich dem Internet zum Fraße vorgeworfen: Mit drei Worten dürfen mich Internetnutzer beschreiben. Anonym. Also auch die verhassten Trolle, die mich immer so quälten. Das Ergebnis: Erstaunlich zivil. Einer schrieb, ich sei ein, lohnendes, und Trollziel. Und einer, der doch ein bisschen frech werden wollte, war dann sogar so höflich zu fragen: "höhöhö! :-) Ist das anonym".
Ja, ist es! Und es könnte sogar sein, dass genau dies es auch leichter macht, mit Kommentaren wie "Muschi, Titten, Fickloch" umzugehen. Denn beim anonymen Kommentieren rechnet man ja schon mit so etwas und ist über den ganzen freundlicheren Rest fast überrascht. Sollte Anonymus gar kein so böser Gesell sein, wie immer von den Kulturpessimisten vermutet?
Julia Seeliger ist Online-Redakteurin der taz. Sie schreibt die Kolumne "Meer", bei der sie ihre Blicke nicht nur über das Informationsmeer schweifen lässt.
Ein "Social-Media-Experte" muss her. Für ein Mainstreammedium wie die taz heisst das: Sascha Lobo anrufen. Der war auch ein wenig überrascht darüber, dass so wenige bösartige Kommentare bei threewords.me einliefen, will das aber nicht grundsätzlich sehen: "Drei Worte eignen sich einfach nicht so gut zum Trollen, das wird schnell langweilig". threewords.me, der "sozialen Form des Ego-Googlens" gibt Lobo aber keine lange Halbwertszeit: "Wenn das nicht weiterentwickelt wird hinsichtlich einer Anbindung an andere Dienste, dann ist es ganz schnell wieder zu Ende mit diesem lustigen Nichts."
Das macht doch nichts! Das kleine Nichts ist lustig, die Trolle sind freundlich, und man lagert sein Ich vollends an Dritte aus. Kontrollverlust par Excellence. So lange threewords.me noch nicht tot ist, geht das Spiel weiter. Bis wir weiterziehen – zum nächsten lustigen Eintagsfliegen-Dienst. Und wenn wir unsere Accounts nicht löschen, dann leben sie, bis die Seite dicht macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus