Kolumne Macht: Wer wirklich Macht hat
Für Annegret Kramp-Karrenbauer läuft's: tolle Fernsehbilder, gute Presse. Genau das ist auch das Problem der CDU-Vorsitzenden.
E s war eine ziemlich gute Woche für Annegret Kramp-Karrenbauer. Schöne, harmonische Fernsehbilder mit Markus Söder, die von einer neuen Innigkeit zwischen den Vorsitzenden der Schwesterparteien CDU und CSU zeugen sollen. Zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer war das Verhältnis ja nicht so nett.
Dann noch ein Einzelauftritt bei „Maischberger“, über den wiederum andere Medien breit berichteten. Annegret Kramp-Karrenbauer war in den Schlagzeilen. Besser kann es für die CDU-Vorsitzende derzeit nicht laufen.
Das ist allerdings genau ihr Problem: Besser kann es für sie nicht laufen. Annegret Kramp-Karrenbauer hat kaum eine andere Möglichkeit als Fensterreden zu halten. In mehrfacher Hinsicht ist sie in einer ausweglos erscheinenden Situation.
Ohne Mandat im Bundestag oder das Amt einer Ministerpräsidentin verfügt die CDU-Vorsitzende weder über legislative noch über exekutive Macht. Sie hat kein Parlamentsmandat, kann also die Bühne des Bundestages nicht nutzen. Und sie kann schon gar nicht den Zeitpunkt beeinflussen, zu dem Angela Merkel großzügig die Kanzlerschaft in ihre Hände gibt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sollte es denn überhaupt je dazu kommen. So ohnmächtig Annegret Kramp-Karrenbauer auch tatsächlich ist – für schlechte Wahlergebnisse wird sie dennoch in Mithaftung genommen werden. Man stelle sich vor, die AfD würde in Sachsen stärker als die CDU: Dann wäre die neue Vorsitzende vermutlich ganz schnell weg.
Wer Friedrich Merz im Kampf um den CDU-Vorsitz für den besseren Kandidaten hielt, hat übrigens keinen Grund zur Schadenfreude. Der hätte genau dasselbe Problem.
Es ist ja nicht so, als sei Annegret Kramp-Karrenbauer nicht kampfeslustig. Im Februar möchte sie Experten über Angela Merkels Migrationspolitik streiten lassen. Die Kanzlerin will bei dem so genannten Werkstattgespräch gar nicht erst anwesend sein. Kürzlich zündelte die CDU-Vorsitzende ein bisschen am Koalitionsvertrag. Sie möchte noch einmal in aller Ruhe über die geplante Abschaffung von „sachgrundlos befristeten“ Arbeitsverträgen diskutieren.
Erinnern Sie sich an die Überschriften? „Schon wieder Krach in der Koalition“ und „Neue Krise im Regierungsbündnis“. Sie erinnern sich nicht? Kein Wunder. Es hat sie nicht gegeben. Wenn diejenigen, die derzeit über reale Macht verfügen, keine Lust haben, über ein Stöckchen zu springen, das ihnen die CDU-Vorsitzende hinhält, dann springen sie eben nicht. Sondern zucken mit den Achseln und gehen außen herum. Oder woanders hin.
Hätte Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Union, derlei gesagt: Hei, was für eine Balgerei! Chaos, Getümmel, Nachtsitzungen, Pressekonferenzen. Er verfügt nämlich über eine Hausmacht bei Abstimmungen, bei denen es wirklich um etwas geht. Bei Annegret Kramp-Karrenbauer hingegen verpufft jede Initiative, wenn niemand außer ihr gerade eine Konfrontation wünscht.
Fällt das auf? Es fällt erstaunlich wenigen auf. Viele Medien befassen sich gar nicht erst mit der Frage, wer real über welche Macht verfügt. Ein süffiges Zitat reicht für die Meldung des Tages. Wenn daraus nichts folgt, dann verstärkt das den Eindruck, Politik werde überwiegend in Hinterzimmern gemacht. Das ist schädlich für das Ansehen der parlamentarischen Demokratie.
So nett viele Klicks auch sind: Irgendwann müssen Medien prüfen, ob sie eigentlich ihre – vom Grundgesetz geschützte – Aufgabe im System hinreichend wahrnehmen. Im Hinblick auf reale Machtfragen scheint mir das derzeit nicht der Fall zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen