Kolumne Macht: Reserviert für Fachpublikum
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ist eine Errungenschaft der Menschheit. Leider ist er für sie unzugänglich.
D ie Menschheit hatte in den letzten Jahrzehnten ein paar großartige Ideen, auf deren Basis wichtige Institutionen entstanden sind. In der Praxis funktionieren die nicht ganz so, wie sich die Gründergeneration das vorgestellt hatte, aber das ändert nichts daran, dass die Prinzipien dahinter jede Anstrengung wert sind. Trotz aller Unzulänglichkeiten der UNO, um nur ein Beispiel zu nennen: Es wäre borniert zu glauben, dass die Welt ohne die Vereinten Nationen ein friedlicherer, gerechterer Ort wäre.
Ein Besuch beim UNO-Hauptquartier in New York kann übrigens anrührend sein. Im letzten Jahr habe ich dort an einer Touristenführung teilgenommen, und irgendwie hatte die zufällig zusammengewürfelte Gruppe aus aller Herren und Damen Länder am Ende ein seltsames Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Die mit unverkennbarem Stolz auf all die wunderbaren Projekte blickte, die uns vorgeführt wurden. Eine Folge von Schönfärberei? Ja doch, selbstverständlich. Auch. Aber eben nicht nur. Die Führung hatte eine Ahnung der Ideen vermittelt, die Pate bei der Gründung der Vereinten Nationen gestanden hatte. Das ist nicht gering zu schätzen.
Klappern gehört zum Handwerk, und eine Selbstdarstellung, die niemand sehen kann, ist keine. Deshalb lassen sich Reichstagskuppel und Bundestag mit geringem Aufwand besuchen, deshalb ist in Washington das Original der Unabhängigkeitserklärung ausgestellt, deshalb ist es möglich, an öffentlichen Sitzungen des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg teilzunehmen.
Die Liste ließe sich fortsetzen, allerdings nicht beliebig. Denn es gibt ja auch noch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So ganz unwichtig ist dieses Gericht nicht: Alle 47 Mitglieder des Europarates von der Türkei bis Russland, von der Schweiz bis Armenien sind ihm beigetreten, und es hat bahnbrechende Urteile zur Privatsphäre, zur Meinungsfreiheit, zu den Rechten von Angeklagten und Verurteilten gefällt.
Öffentlichkeit, scher dich zum Teufel
Beispielsweise. Nur mit der Öffentlichkeit hat es das Gericht nicht so. Auf der Webseite findet sich der klare Hinweis: „Die Besuche sind reserviert für ein Fachpublikum (vor allem Juristen, Anwälte).“ Zu deutsch: Öffentlichkeit, scher dich zum Teufel.
Was auf dem Papier steht, bestätigt der Augenschein: Der Besuchereingang des Gerichts ist unzugänglich und wird von Bauschutt versperrt. Ein älteres Ehepaar, das sich zögernd und schüchtern einem anderen Eingang nähert, wird vom Pförtner mit barscher Handbewegung und ohne Erklärung weg gescheucht.
Und wie ist es mit dem Besuch öffentlicher Verhandlungen? Nun, man weiß nicht recht, ob es sie gibt – jedenfalls scheint es das Gericht selbst nicht zu wissen. Auf der Webseite steht: „Grundsätzlich verhandelt das Gericht schriftlich, hält allerdings gelegentlich in bestimmten Fällen öffentliche Verhandlungen ab.“ Und gleich darunter: „Verhandlungen finden öffentlich statt, es sei denn, der Präsident der Kammer oder der Großen Kammer trifft eine andere Entscheidung.“ Aha. Offenbar haben zwei verschiedene Praktikanten den Informationstext bearbeitet.
Man muss Europa ja nicht ernst nehmen, man kann auch die Idee gering schätzen, die dahinter steht. Aber ist es nötig, dass das so demonstrativ geschieht? Offenbar quält diese Frage niemanden, der zuständig ist. Wer will schon beurteilen, wie lange es unumgänglich ist, einen öffentlichen Zugang durch Bauschutt zu versperren? Wenn man das wichtig fände, dann könnte man einen entsprechenden Hinweis liefern.
Ach, Europa. Übrigens, bei allem, was wir in den USA schwer erträglich finden mögen: Vergleichbares wäre dort unvorstellbar.
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