Kolumne Macht: Das Unwort Stabilitätsfaktor

Roter Teppich statt Verhaftung – Politiker, die ihr Volk unterdrücken, sind in Deutschland hochwillkommen.

Abdel Fattah al-Sisi Berlin

In Berlin wurde für den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi Anfang Juni der rote Teppich ausgerollt. Foto: dpa

Das Wort Stabilitätsfaktor sollte in die engste Wahl für das „Unwort des Jahres“ gezogen werden – oder vielleicht sogar des Jahrhunderts. Denn es bedeutet übersetzt: Menschenrechtsverletzungen müssen in Staaten achselzuckend hingenommen werden, die für uns eine hohe geostrategische Bedeutung haben. Als besonders wichtiger „Stabilitätsfaktor“ wird Saudi-Arabien betrachtet. Wo der Oberste Gerichtshof vor einigen Tagen letztinstanzlich das Urteil gegen den Blogger Raif Badawi zu zehn Jahren Haft, 1.000 Stockschlägen und einer hohen Geldstrafe bestätigt hat.

Nun ist es nicht so, dass dieser menschenverachtende Richterspruch in westlichen Demokratien gänzlich gleichgültig hingenommen worden wäre. Nein, die Europäische Union und die USA haben Riad aufgefordert, wenigstens auf die Vollstreckung der körperlichen Strafe zu verzichten.

Was für ein donnernder Protest! Saudi-Arabien hat sich jede Einmischung in innere Angelegenheiten in deutlich schärferem Ton verbeten.

Und weiter? Nichts weiter. Nach wie vor gehört Saudi-Arabien zu den Hauptabnehmern deutscher Rüstungsgüter. Allein im Februar und März dieses Jahres wurden 23 Genehmigungen für Rüstungsexporte im Gesamtwert von knapp 17 Millionen Euro erteilt. Seither sind weitere Millionendeals hinzugekommen.

Ein „Übergreifen verhindert“

Der Arabische Frühling, seinerzeit auch im Westen als Aufbruch in die Demokratie bejubelt, hat Saudi-Arabien nie erreicht. Heute steht dazu auf der Informationsseite des Auswärtigen Amtes zu lesen, der Regierung sei es „gelungen, ein Übergreifen auf das eigene Land nahezu komplett zu verhindern“. Gelungen? Das „Übergreifen“ zu verhindern? Das klingt, als sei von einer Seuche die Rede. Ebola oder so. Hat man daran gedacht, ein Glückwunschtelegramm nach Riad zu schicken?

Hitlers Landschaftsplaner begrünten das Vernichtungslager in Auschwitz und den Westwall, die gigantische Verteidigungsanlage gen Westen. Und einige von ihnen machten als Naturschützer später auch in der Bundesrepublik Karriere. In der taz.am wochenende vom 13./14. Juni 2015 erzählen wir, warum sich der deutsche Naturschutz mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigen sollte. Außerdem: Sind kleine Höfe wirklich besser? Ein Blick auf einen Agrarriesen und einen Biohof, als Reportage und Grafik. Und: Eine Foto-Reportage aus einer kleinen Bar in Tokio, in der die Menschen nichts auf Traditionen geben. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Beim Schreiben dieser Zeilen sieht man das müde, abgeklärte Lächeln vor sich, mit dem politische Profis auf Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern reagieren. Das sei ja alles gut und schön, aber doch sehr naiv. Die Einflussmöglichkeiten auf Diktatoren seien eben begrenzt. Leider. Es wäre schön, wenn die Welt anders wäre, aber sie sei nun mal nicht anders. Realpolitik sehe anders aus, als Idealisten sich das so vorstellten. Wenn ein Regime die eigene Bevölkerung unterdrücke, dann könne man im Grunde nichts machen.

Kann man nicht? Kann man doch. Sudans Präsident Umar al-Baschir darf nur noch in sehr wenige Länder fahren, da wegen der Menschenrechtsverletzungen im westsudanesischen Darfur ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag gegen ihn besteht. So kann er nun nicht am Gipfeltreffen der Afrikanischen Union in Johannesburg teilnehmen.

Das Römische Statut

Kurzfristig abgesagt hat seine geplante Teilnahme am Gipfel nun Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi. Zahlreiche Medien berichten übereinstimmend, der Grund dafür sei die offizielle Forderung nach einem Haftbefehl gegen ihn, erhoben von einer Gruppe südafrikanischer Rechtsanwälte. Sie werfen Sisi Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit infolge des Militärputsches von 2013 vor.

Südafrika gehört zu den Staaten, die das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs unterzeichnet haben. Das bedeutet, dass südafrikanische Behörden jede Person verhaften können, der Verbrechen zur Last gelegt werden, für die das Gericht zuständig ist.

Deutschland hat das Römische Statut übrigens auch unterzeichnet. In Berlin hat man Ägyptens Präsident Sisi allerdings nicht verhaftet, sondern für ihn vor gut einer Woche den roten Teppich ausgerollt.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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